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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 7

auf gewisse Personen, ja auf eine ganze Bevölkerungsklasse fällt. Aus diesem Grunde ist es um so mehr unsere Pflicht, in objektivster Weise die Sache zu prüfen. Sie haben gehört, in welch schrecklich verstümmelter Weise am Morgen des 22. Januar 1884 die Leiche des Knaben Onophrius Cybulla gefunden wurde. Daß ein Raubmord vorliegt, ist vollständig ausgeschlossen, denn der Knabe besaß kein Geld, es war auch nicht zu vermuten, daß er im Besitz von Geld gewesen wäre; seine Kleider waren vollständig wertlos. Ebenso ist aber auch nach ärztlichem Befund ein Lustmord vollständig ausgeschlossen. Der Mord kann den Umständen nach nur in einer Behausung geschehen sein, denn es fanden sich weder am Fundort noch in dem Dorfe Skurcz irgendwelche Spuren eines begangenen Mordes. Aber auch ein Mord aus Haß ist nicht denkbar; wir haben gehört, der ermordete Knabe war höchst friedfertigen, ja gutmütigen Charakters, er hat noch am 21. Januar abends einem Knecht bei Gappa aus Gefälligkeit beim Flaschenspülen Hilfe geleistet. Es ist daher nicht zu verwundern, wenn man auf den Gedanken kam, der Mord ist aus Aberglauben geschehen. Allein, wenn der Verdacht sich auf gewisse Personen lenkte, so geschah dies hauptsächlich, weil in der Tat Verdachtsmomente vorlagen. Daß ein ritueller Mord hier nicht vorliegt, davon, meine Herren, werden wir wohl alle vollständig überzeugt sein. Daß ein gewöhnlicher Aberglaube nicht vorliegt, habe ich auch nicht weiter zu betonen. Es gibt ja einen Aberglauben, wonach man mit Lichtern, die aus dem Fett eines Ermordeten fabriziert werden, einen Dieb unsichtbar machen kann. Vor ungefähr 10 Jahren ist in unserer Gegend ein Verbrechen passiert, das heute noch nicht aufgedeckt ist und das, den Umständen nach, auch nur aus Aberglauben geschehen war. Es entsteht nun die Frage, wer ist der Mörder. Sie wissen, der Verdacht lenkte sich zunächst auf Boß (Vater und Sohn) und Hermann Josephsohn. Es ist gegen die Boß ins Feld geführt worden, daß

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 7. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_7_(1912).djvu/119&oldid=- (Version vom 9.4.2023)