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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6

nur den Sinn hatte: Der Angeklagte tut so, als ob die Justizverwaltung ihm unrecht tue und ihn verurteilen wolle, damit man nicht einzugestehen brauche, daß man einen Grafen Metternich zu Unrecht so lange in Untersuchungshaft gehalten habe. Da habe der Staatsanwalt gesagt: für die Justiz sei der Graf Metternich nichts anderes als jeder andere, der unter der Anklage des Betruges stehe. – R.-A. Dr. Jaffé: Der Angeklagte mußte aber auch hieraus auf eine Voreingenommenheit schließen, zumal der Staatsanwalt auch noch äußerte, der Angeklagte werde einer Strafe von mindestens zwei Jahren Gefängnis würdig erscheinen. Ein Bekannter hat mir kürzlich gesagt: Der Angeklagte hat einen großen Fehler gemacht, indem er nur solche kleine Schulden gemacht hat. Wenn er großzügiger vorgegangen wäre und 100 000 Mark Schulden gemacht hätte, dann würde seine Situation eine wesentlich bessere und es wohl nicht zur Anklage gekommen sein. Die Richter müßten sich, um zu einem gerechten Urteil zu kommen, in die Seele des Angeklagten versetzen. Der Angeklagte war allein in der Weltstadt sich selbst überlassen und auf fremden Kredit angewiesen. Schon früh hat er erhebliche Abweichungen von der Norm gezeigt, dann einen Selbstmordversuch gemacht. Der Vater hat ihn dann in eine Irrenanstalt gesteckt und mit einigen tausend Mark in die weite Welt geschickt. Nach seiner Rückkehr hat er ihn mit 30 Mark monatlicher Unterstützung nach Berlin gesandt. Was sollte ein Graf Metternich und Neffe des deutschen Botschafters in London mit 22 Jahren anfangen? Er tat das, was jeder in seiner Lage und mit seiner Veranlagung getan hätte und tun mußte, nämlich Schulden machen und vom Kredit leben. Er ist das Produkt seiner Veranlagung und seiner Erziehung. Wenn man alle Menschen, die dasselbe tun, was der Angeklagte getan hat, wenn man alle solche Kavaliere einsperren wollte, dann würde ganz Berlin, ja das ganze Deutsche Reich, mit einem Dache überdeckt, nicht ausreichen, um alle diese

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_6_(1912).djvu/256&oldid=- (Version vom 30.12.2022)