Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 3 (1911).djvu/76

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3

vorgenommen. Auch die Frage der Vorsätzlichkeit sei für Naumow zu bejahen; nicht einmal der lange Zeitraum habe ihn von seiner Tat zurückgehalten. Die Tarnowska, so fuhr der Staatsanwalt fort, ist die moralische Anstifterin des Verbrechens; sie hat zuerst den Gedanken daran in Naumows Seele gelegt und ihm den Plan dazu bis zu allen Einzelheiten vorgezeichnet. Die Frauenkrankheit der Tarnowska kann nicht als Entschuldigung gelten, da tausende anderer Frauen dieselben Leiden haben, ohne zu Verbrecherinnen zu werden. Für Prilukow haben die Verteidiger keine Psychiater als Sachverständige herangezogen, und trotzdem wollen sie ihn für nicht zurechnungsfähig hinstellen. Es ist einerlei, ob Prilukow oder die Tarnowska zuerst den Gedanken an das Verbrechen gehabt hat; es genügt, daß sie gemeinsam Naumow dazu veranlaßt haben. Auch die Perier ist am Tode Komarowskis mitschuldig. Sie hat um alles gewußt, um die Liebesabenteuer der Tarnowska und um die Geldverlegenheiten; sie hat an dem Mahle teilgenommen, währenddessen Naumow zum Verbrechen gereizt wurde, wie sie schon vorher Prilukow zum Selbstmord reizen wollte. Deshalb ist auf Teilnahme am Verbrechen, wenn auch eine nicht notwendige Teilnahme, zu erkennen. – Verteidiger für Naumow, Rechtsanwalt Marigonda, erinnerte an die Aussage der Mutter des gemordeten Komarowski, daß Naumow das Verbrechen nicht begangen hätte, wenn es ihm nicht von der Tarnowska suggeriert worden wäre. Die Stimme der Toten (Borgewski und Stahl), die Stimme der Lebendigen und die Stimme der Wissenschaft, der Psychiater, sie alle bezeugen die suggestive Kraft der Tarnowska. Schließlich hob der Verteidiger noch hervor, daß auch die ärztlichen Sachverständigen Naumow für unverantwortlich erklärt haben. – Advokat Driussi: Naumow hat sich als zweiundzwanzigjähriger unerfahrerer Jüngling, der schon Zeichen von anormaler Geistesverfassung gegeben hatte, in die Tarnowska verliebt. Als er das Verbrechen beging, hatte er nicht die geringste

Empfohlene Zitierweise:
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_3_(1911).djvu/76&oldid=- (Version vom 5.1.2023)