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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3

Die Zeugin gab ferner nicht wiederzugebende Einzelheiten über die nervösen Zufälle der Angeklagten, die so eigentümlich und schwer waren, wie sie ihr bisher unter den Gefangenen noch niemals vorgekommen seien. Während der Verhandlung halte sie sich gewaltsam aufrecht, breche dann aber in der Zelle vollständig zusammen. Ihre Willenskraft sei äußerst schwankend, bald sei sie fest und energisch und bald schwach und lenksam wie ein gutes Kind. Unter den Sachverständigen entspann sich darauf eine Erörterung über die Suggestionierbarkeit der Tarnowska und über ihre Kraft, andere zu suggestionieren. Auf Befragen erklärte Prof. Tommasini: Der Angeklagten sei von ihrem Selbstmordversuch mit Kokain die Nachwirkung geblieben, daß sie, wenn sie nur von Kokain reden höre, aufgeregt und von Unwohlsein befallen werde. Die Sachverständigen gingen hierauf mit ihren Fragestellungen zum intimen Verkehr der Angeklagten mit ihren beiden Mitangeklagten über. Die Tarnowska wiederholte und erläuterte ausführlich, wie sie sich immer, aus natürlichem Widerwillen und angeborner Kälte, und auch wegen physischer Störungen, ihren Liebhabern verweigert habe. Die physische Liebe habe ihr immer nur Widerwillen, Schmerz und Ekel verursacht. Demgegenüber blieb der Angeklagte Naumow unter einigem Zögern dabei, mit der Angeklagten sehr häufig intimen Umgang gepflogen zu haben, und Prilukow erklärte mit dem Tone des in solchen Dingen vielerfahrenen Mannes, daß die Gräfin im Gegenteil eine in der physischen Liebe leidenschaftliche Frau sei. Auf die Frage nach dem von ihr erwähnten Gespräch über Masochismus erklärte die Tarnowska: Eines Tages haben Naumow, Komarowski und ein masochistischer Dichter in ihrer Wohnung über Masochismus gesprochen. Naumow habe ihr Gedichte zum Lesen gegeben und gesagt, der Mann müsse die Frau bis zu seinem Tode lieben und jede Art physischer und moralischer Schmerzen für sie zu leiden bereit sein. Komarowski habe aber Naumow wegen dieser Ansichten

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_3_(1911).djvu/56&oldid=- (Version vom 5.1.2023)