Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 3 (1911).djvu/48

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3

aufhörte, da hörte auch seine Verliebtheit wie durch einen Zauberschlag auf. Seine erste Liebe war ein junges Mädchen von 17 Jahren, die ihn in dieser Weise behandelte. Er hatte dann eine Anzahl weiterer Liebesverhältnisse, aber, wie der Zeuge glaubte, rein platonischen Charakters. Er (Zeuge) machte damals schon die Beobachtung, daß es Naumow anscheinend Vergnügen bereitete, physische Schmerzen zu erleiden. Auch seelische Leiden brachten bei ihm gerade einen auffällig ruhigen Gemütszustand zuwege. Er trank bereits damals, ohne jedoch Alkoholist zu sein. Am meisten trank er, wenn er traurig war. In späteren Jahren wurde er sehr schweigsam und verließ seine Wohnung nur selten. Als er die Tarnowska kennen lernte, fing er ein sehr ungeordnetes Leben an. „Als ich dann die Nachricht von der Mordtat erhielt,“ sagte der Zeuge, „fing ich an, wie es meinem Beruf entspricht, mir die Angelegenheit logisch zurechtzulegen. Ich konnte aber keine logische Erklärung für Naumows Verhalten finden. Es war mir ohne weiteres klar, daß ein starker äußerer Einfluß auf ihn gewirkt haben mußte.“ Darauf wurde noch einmal die Achmatowa vernommen, die bekundete, daß in der Familie Naumow die Geistesgestörten und Epileptiker sehr zahlreich waren. Korvettenkapitän Alberto Rossi bekundete alsdann als Zeuge: Ich stand in den besten Beziehungen zu dem Grafen Komarowski. Dieser war nach dem Tode seiner Gattin in überaus trauriger Stimmung, die sich aber bald darauf, als die Gräfin Tarnowska in Venedig eingetroffen war, vollkommen aufheiterte. Die Tarnowska gab sich als die Cousine des Grafen aus. Ich erinnere mich, daß eines Abends im Hotel des Bains am Lido der Graf durch ein Versehen ein Telegramm erhielt, das an die Tarnowska adressiert war. Diese gab nicht zu erkennen, daß ihr an dem Telegramm etwas gelegen sei und zeigte es auch mir. Es war augenscheinlich von einer Person gesandt, die auf das heftigste in die Gräfin verliebt war und sich nach ihr erkundigte. In jenem Hotel

Empfohlene Zitierweise:
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_3_(1911).djvu/48&oldid=- (Version vom 31.12.2022)