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die Frauen, die Ehe usw. der Wahrheit, so konnten sie bei einem Manne von so hohem ästhetischen Empfinden und solcher Feinfühligkeit nur durch tiefe Kontrainstinkte gegen das Weib erklärt werden. Waren sie aber objektiv unrichtig, so entfielen natürlich damit auch die daraus gezogenen Schlüsse. Der Herr Nebenkläger selbst erklärt seine Abneigung in dem besonderen Falle durch die „psychisch und physisch ungewöhnlich große Leidenschaftlichkeit“ seiner Ehegattin. Nach allem resumiere ich mein Gutachten über die Beweisfrage wie folgt: Aus den Grundlagen, wie sie diese Verhandlung vor der Strafkammer ergeben hat, läßt sich ein Schluß auf eine homosexuelle Veranlagung des Grafen Moltke nicht mehr ziehen. – Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel: Sie hatten doch früher in der politischen und musikalischen Veranlagung des Privatklägers einen femininen Einschlag erblickt. – Dr. Hirschfeld: Nur in ihrer Gesamtheit habe ich die einzelnen Eigenschaften als Kennzeichen des femininen Einschlags betrachtet. – Vors.: Auf poetisch-musikalischem Gebiet ist doch aber die Minderwertigkeit des weiblichen Geschlechts so groß. – Dr. Hirschfeld: Das ist richtig, aber auf der andern Seite hat gerade der stark brutale Vollmann meist keine Begabung auf diesem Gebiete aufzuweisen. – Oberstaatsanwalt: Dann würden Sie unter Vollmännlichkeit nur eine gewisse Roheit verstehen. – Dr. Hirschfeld: Nein, ganz gewiß nicht. Männlichkeit und Weiblichkeit sind sehr schwankende Begriffe. – Oberstaatsanwalt: Es ist das wohl auch bloß das Geschützfeuer, das den eklatanten Rückzug decken soll. Sie treten doch wohl vollständig von Ihrem Gutachten vor dem Schöffengericht zurück? – Dr. Hirschfeld: Jawohl, das muß ich tun; ich glaube, das kann mir nur zur Ehre gereichen, wenn ich bei der veränderten Grundlage zu anderen Schlüssen komme. – Oberstaatsanwalt: Meinen Sie nicht, daß die Grundlage für Ihr damaliges Gutachten nicht nur verändert, sondern vollständig beseitigt ist? – Dr. Hirschfeld: Diese Frage kann