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beeidete Zeugenaussage der Frau v. Elbe gestützt. Es lag damals keine Veranlassung vor, an der Wahrheit dieser Aussage zu zweifeln, zumal sie von dem Herrn Vorsitzenden des Schöffengerichts ausdrücklich als Grundlage des zu erstattenden Gutachtens bezeichnet worden war. Diese Grundlage ist durch die neue Beweisaufnahme vor der Strafkammer wesentlich erschüttert worden, und zwar zunächst dadurch, daß die Zeugin Frau v. Elbe ihre frühere Aussage in tatsächlicher Beziehung abgeschwächt, bezw. nicht mehr in der früheren bestimmten Form aufrecht erhalten hat. Sie selbst hat während dieser Verhandlung, als ihr eine subjektive Färbung der Ereignisse vom Herrn Oberstaatsanwalt vorgehalten wurde, ausgerufen: „Kann denn ein Mensch, der solche Nöte erlitten hat, noch objektiv sein?“ Es kommt hinzu, daß bei der Zeugin nach dem Gutachten des Herrn Dr. Frey ein neuropathischer Zustand vorlag, namentlich auch während der Zeit der Ehe, welcher geeignet war, sowohl ihr Empfindungsleben als auch die Erinnerungsbilder stark zu beeinträchtigen. Endlich steht der beeideten Aussage der Frau v. Elbe jetzt das beeidete Zeugnis des Grafen Moltke entgegen, der, im Gegensatz zu der früheren Verhandlung, eingehende Erklärungen zu den einzelnen Behauptungen der Zeugin abgegeben hat, deren Darstellung die Zeugin zum Teil selbst bestätigte. Von vornherein kann es sich auf Grund der Beweisaufnahme vor der Strafkammer wieder lediglich um die Frage handeln, welche ich auch das vorige Mal nur erörtern konnte, ob bei dem Herrn Nebenkläger eine ihm selbst unbewußte Abweichung seines sexuellen Empfindens vorliegt. In dem konkreten Fall kommt es weniger auf die Gefühlsrichtung und die Gefühlsstärke als auf den Gefühlston an. Daß dieser Gefühlston in dem vorliegenden Falle den Freunden gegenüber ein ungewöhnlich inniger ist, muß zugegeben werden. Selbstverständlich könnte man daraus allein keine Homosexualität folgern. Entsprachen aber die von der Frau v. Elbe mitgeteilten scharfen Äußerungen über