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Seit gestern hat er ein geschwollenes Auge.“ Das war im März 1902. Acht Tage darauf traf mein Bruder ein. Er sah so aus, daß ich ihn nicht wiedererkannte. Nach und nach erzählte er mir das ganze Elend seiner Ehe. Schließlich streifte er den linken Ärmel auf und zeigte mir Wunden, wohl an zwanzig, wie von einem Raubvogel mit Krallen herausgehackt. Er sagte, diese Wunden hätte ihm seine Frau beigebracht. Er fuhr dann zu einem Justizrat, um sich bei diesem über Scheidungsgründe zu erkundigen. Ich erhielt alsdann von der Gräfin einen Brief, in dem sie mich bat, einen Versöhnungsversuch zu unternehmen. Sie sei zu dieser Bitte durch eine spiritistische Manifestation gekommen. In einem geschlossenen Buch auf ihrem Tische wäre am anderen Morgen die Stelle unterstrichen gewesen: „Wende dich an sie.“ Das sollte von meinem verstorbenen Mann herrühren. Auf Befragen des Oberstaatsanwalts und des Justizrats Sello bekundete die Zeugin noch, ihr Bruder habe viele Frauenfreundschaften gehabt, er sei immer ein edler Charakter gewesen. – Es folgten die Gutachten der Sachverständigen. Medizinalrat Dr. Hoffmann antwortete auf die Frage, ob nach seiner Ansicht der Graf Moltke homosexuell sei: Ich möchte sagen, auf Grund dessen, was wir hier gehört und gesehen haben, habe ich keinerlei Anhaltspunkte gefunden, daß bei dem Herrn Nebenkläger Homosexualität vorliegt. Aus der Verhandlung ist hervorgegangen, daß die Aussage der Frau von Elbe eine der Quellen ist, wenn nicht die einzige Quelle, aus der die Anschuldigungen gegen den Grafen Moltke geflossen sind. Da muß man Frau v. Elbe ärztlich darauf hin beleuchten, ob diese Quelle eine solche ist, aus der die rein objektive, lautere Wahrheit quillt. Ich glaube ja, daß Frau v. Elbe meint, nach bestem Wissen die Wahrheit zu sagen, aber man muß doch an ihre schwere Trionalvergiftung aus dem Jahre 1898–99 denken. Frau von Elbe hat mehr als 5/4 Pfund Trional genossen; solche chronische Trionalvergiftung hat ganz bestimmte Erscheinungen