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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3

einen seiner Freunde erschoß. Damals forderte mich die Gräfin auf, sie zu besuchen: sie wünschte meinen Rat als Rechtsanwalt darüber zu hören, wie sie sich nach diesem Vorfall am besten zu verhalten habe.“ Prilukow erzählte dann die Geschichte seiner Beziehungen zu der Angeklagten. Letztere habe ihm in einem Brief ihre Liebe erklärt. Darauf habe er ihr geschrieben, daß er aus Rücksicht auf seine Kinder es ablehnen müsse, ihr Geliebter zu werden. „Allein“, so etwa fuhr der Angeklagte fort, „die Empfindungen für sie hatten bereits in mir Wurzeln geschlagen und wuchsen stetig; in Moskau hat dann unser inniges Verhältnis seinen Anfang genommen.“ Die Tarnowska bedeckte, als Prilukow so sprach, mit der Hand die Augen, als ob sie weinte. Sie zeigte sich erregt und war auffallend bleich. Prilukow erzählte weiter: „Alsbald hat die Gräfin mich aufgefordert, daß ich Frau und Kinder im Stiche lasse. Ich leistete ihr aber Widerstand. Da nahm sie, es war Ende 1905, eine starke Dosis Kokain, um sich zu vergiften. Ein herbeigerufener Arzt vermochte sie zu retten. Bei dieser Bekundung Prilukows wurde die Angeklagte von einer Nervenkrise ergriffen; sie verließ plötzlich ihren Sitz und stürzte wie wahnsinnig aus dem Saal, gefolgt von Gendarmen, den Rechtsanwälten und einem Arzte. Letzterer gab ihr sofort ein Beruhigungsmittel. Gleich darauf wurde sie in den Saal zurückgeführt und erklärte, sie sei davongegangen, weil sie gefürchtet hätte, hinzufallen. Sie erleide jedesmal, sooft sie nur von Kokain sprechen höre, einen Nervenanfall. In der Nachmittagssitzung erzählte Prilukow, wie er in seiner Seelenangst eines Tages Chloralhydrat nahm, um sich zu vergiften. „Ich hatte“, sagte er, „einen Brief an meine Frau hinterlassen, worin ich den wahren Grund der Verzweiflungstat beichtete; auch hatte ich mich zugunsten meiner Kinder in eine Lebensversicherung eingekauft.“ Er wurde gerettet und unternahm dann Reisen mit der Tarnowska nach Wien, Berlin, Paris und Algier. Da die Tarnowska ihm beständig

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_3_(1911).djvu/28&oldid=- (Version vom 25.12.2022)