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Berlin gekommen sei, um sein Abgeordnetenmandat auszuüben. Etwa am 5. oder 6. Mai sei Graf Kuno von Moltke zu ihm gekommen und habe ihm gesagt: er sei in schwere Bedrängnis geraten und bitte um seinen Beistand. – In der Erörterung über dieses Thema erklärte Justizrat Bernstein, daß diese Sache für die Verteidigung von besonderer Wichtigkeit sei, denn der Angeklagte behauptet, daß die Interpretation seiner Artikel nach der Seite hin, daß sie beleidigend seien, erst aufgetreten sei nach den bekannten Ereignissen, also ex post. Der Nebenkläger habe nach Hardens Ansicht in der Tat vor dem 2. oder 3. Mai die Artikel nicht als beleidigend erachtet. – Justizrat Dr. Sello stelle hierzu fest, daß der Nebenkläger sein Abschiedsgesuch am 3. Mai eingereicht hatte und dies erst am 22. Mai bekannt gegeben worden sei. Diese „Ereignisse“ hätten also auf die Interpretation der Artikel keinen Einfluß ausüben können. – Angeklagter Harden: Am 1. Mai wurde bei mir antelephoniert, es meldete sich ein Abgeordneter bei mir an, dessen Namen ich nicht verstehen konnte. Ich war deshalb durch den Besuch des Zeugen überrascht. Irgendeine Aufzeichnung über das Gespräch ist zwischen uns beiden nicht vereinbart worden. Wenn ich gewußt hätte, daß dieses Gespräch hier einen Teil des Verfahrens der Anklage hätte bilden können, so würde ich den Grafen gebeten haben, daß wir gemeinsam das Protokoll aufnehmen. Nach meiner Erinnerung hat der Herr Graf weder von dem Fürsten Eulenburg zu mir gesprochen, noch bestimmte Artikel in dieser Ausführlichkeit herangezogen. Er hat mich gefragt, ob daraus die Ansicht hervorgehen soll, daß ich Herrn Grafen Kuno Moltke der Perversion verdächtige. Darauf habe ich ihm gesagt: Gedruckt ist davon nichts, meine Ansicht aber Ihnen zu verhehlen, würde ich für eine Feigheit halten. Ich sage Ihnen darum offen: ich habe allerdings seit Jahren die Überzeugung gewonnen, daß Graf Kuno v. Moltke ein von der Norm abweichendes Empfindungsleben hat nach der Richtung hin, daß er die