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wir je daran gedacht, in Marokko Eroberungen zu machen? Bülow selbst hatte im Reichstage gesagt, daB wir daran nicht denken; Bismarck hatte gesagt: Laßt die Franzosen Marokko nehmen, um so sicherer sind wir im Elsaß. Was ist hier geschehen? Die allerhöchste Person im Deutschen Reich ist in den Glauben versetzt worden, in Frankreich sei die Stimmung soweit gediehen, daß eine offiziell sichtbare, deutlich ostentativ bezeichnete Versöhnung stattfinden könne. In Frankreich waren gewisse Leute zu dem Glauben gebracht worden, Deutschland sei so weit, daß es nachgeben oder gewisse Konzessionen machen werde, daß es vom Frankfurter Frieden etwas nachlasse. Der Präsident der französischen Republik war aufgefordert worden, ein Zusammentreffen mit dem Deutschen Kaiser an der italienischen Küste zu haben. Und als diese Möglichkeit sich im letzten Moment als eine Unmöglichkeit erwies, als sich zeigte, daß es noch lange nicht in Frankreich ruhig sei, da empfand man das hier als eine Brüskierung, weil man getäuscht worden war über die Stimmung in Frankreich. Durch wen? Durch den Freund des Schloßherrn von Liebenberg – Lecomte. In dieser Sache ist alles fast abenteuerlich, was mein Erleben betrifft. Die Tatsache, daß Herr Lecomte in Liebenberg mit dem Kaiser zusammengetroffen ist, ist eigentlich ein Unikum, denn die Staatsoberhäupter verkehren nur mit den Chefs der Ressorts und nicht mit den Botschaftsräten. Diese Tatsache des Zusammentreffens des Monarchen mit dem Botschaftsrat Lecomte habe ich nicht von Geheimrat Holstein erfahren, sondern er von mir. Ich habe es erfahren von einem Freunde des Fürsten Eulenburg, von einem Ritter des Schwarzen Adlerordens. Dieser Herr sagte, so schlimm sind die Sachen in Liebenberg gar nicht, die Herren unterhalten sich dort nur über – Kunst und französische Architektur, und auch als S. M. mit „Phili“ und Lecomte im Garten ein paar Stunden spazieren gingen, wurde nur über Kunst gesprochen.