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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3

gesetzt und auf seine Verhaftung gewartet. Die Leute, die gekommen seien, hätten ihn aber ins Hotel geführt, und nun habe ihn eine namenlose Angst gepackt, er sei geflohen und in Verona verhaftet worden. Alsdann wandte sich Naumow an die Geschworenen: „Ich habe in meinem Leben viel gefehlt; aber ich schwöre Ihnen, meine Herren, daß ich nichts hinzugefügt und nichts verschwiegen habe.“ Gebrochen sank er in seinen Stuhl zurück und schluchzte laut und heftig. Unter dem Publikum saß auch der Vater Naumows und weinte bitterlich. Prilukow und die Zofe Perier waren offenbar von dem, was Naumow sagte, ergriffen. Sie weinten still. Nur das Gesicht der Tarnowska blieb eisig kalt. Nichts ließ in ihrem Gebärdenspiel oder in der Haltung ihres Körpers vermuten, daß sie ergriffen, ja nur im leisesten bewegt wäre. Nachdem sich Naumow wieder erholt hatte, fuhr er fort: Die Gräfin Tarnowska war so wandelbar und launenhaft, daß ich mir nie darüber klar war, wie ich mich zu ihr stellen sollte. Oft behandelte sie mich schlecht, namentlich in Wien, wo sie mir verbot, mein Hotelzimmer zu verlassen. Ich sah sie dort eines Tages in einer Equipage mit einem Unbekannten vorüberfahren und nahm an, daß dies der Fürst Trubetzkoi sei, denn sie hatte sich oft ihrer Beziehungen zu diesem gerühmt. Darauf schrieb ich ihr einen Brief, in dem ich ihr sagte, daß ich mir das Leben nehmen werde. Sofort kam sie zu mir ins Hotel und überschüttete mich mit Vorwürfen; sie sagte zu mir: „Du bist ein Kind; du willst dich töten und weißt doch, daß ich dich nötig habe.“ Darauf nahm sie mir den Revolver weg, den mir seinerzeit der Gouverneur von Orel geschenkt hatte. Am 25. August 1907 fuhr ich mit der Gräfin Tarnowska von Wien nach Kiew ab. Während der Fahrt ging uns ein Telegramm mit der Unterschrift „Komarowski“ zu, das höchst beleidigenden Inhalts war; die Tarnowska sagte zu mir: „Man muß ihn töten.“ Der Vorsitzende richtete darauf die Frage an den Angeklagten: „Sind Sie auf dieser Reise zur Gräfin in intime

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_3_(1911).djvu/25&oldid=- (Version vom 25.12.2022)