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erhalten haben, dann kennen diese Vampyre keine Grenzen. Der Landgerichtsdirektor wurde, ganz besonders von dem damals 36jährigen Konditor Löchel derartig verfolgt, daß er ihm nach und nach 40000 Mark opferte. Kurz vor Weihnachten 1904 traf von Löchel wiederum ein Erpresserbrief in Breslau ein. Der Landgerichtsdirektor befand sich bereits am Rande des wirtschaftlichen Abgrundes. Er bestellte den Erpresser zum zweiten Weihnachtsfeiertag nach Berlin und zwar in die Nähe der Hedwigskirche. Als der Erpresser dort wiederum mit seinen Drohungen begann, da riß dem Landgerichtsdirektor der Geduldsfaden. Voller Wut riß er einen geladenen Revolver aus der Tasche und schoß blindlings auf seinen Verfolger. Alsdann begab er sich auf die nächste Polizeiwache, und meldete, daß er einen Mordversuch begangen habe. Er sagte sich: „Besser ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende.“ Die Polizei nahm den Landgerichtsdirektor fest und fahndete sofort nach dem Erpresser. Dieser hatte nur eine unbedeutende Verletzung an der linken Hand erhalten. Er war nach Hamburg geflüchtet und schrieb von dort einen neuen Erpresserbrief an den Landgerichtsdirektor nach Breslau. Der Brief wurde von dem ältesten Sohn, Regierungs-Assessor Haße, aufgefangen. Dieser benachrichtigte sofort die Kriminalpolizei. Letzterer gelang es, den Vampyr auf dem Postamt in Hamburg festzunehmen, als er nach der von ihm erhofften postlagernden Sendung fragte. Es ergab sich, daß dieses Scheusal in Menschengestalt das Erpresserhandwerk in dieser Form schon seit vielen Jahren in allen Großstädten Europas betrieb, und daß er, ohne zu arbeiten, eine glänzende Einnahme hatte. Er war bereits wegen räuberischer Erpressung bestraft. Die dritte Strafkammer des Landgerichts Berlin I verurteilte den Mann zu 9 Jahren, seine zwei Helfershelfer zu 6, bezw. 4 Jahren Gefängnis und Ehrverlust. Landgerichtsdirektor Haße wurde sehr ‚bald aus der Haft entlassen. Da angenommen wurde, daß er unter Ausschließung