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Sollte die erwähnte Bestimmung Gesetzeskraft erlangen, dann dürfte den Erpressungen Tür und Tor geöffnet sein. Eine Einschränkung oder gar Ausrottung der Homosexualität ist selbst durch strenge Bestrafungen jedenfalls nicht zu erwarten. Es erheben sich seit vielen Jahren gewichtige Stimmen, insbesondere von Ärzten und Juristen, die die Straflosigkeit der homosexuellen Betätigung verlangen. Schon in den 1870er Jahren haben sich einer von hervorragenden Ärzten und Juristen an den Reichstag gerichteten Petition zwecks Aufhebung des Paragraph 175 eine Anzahl höherer Polizeibeamter angeschlossen. Vor etwa 12 Jahren wurde eine derartige Petition wiederholt, der sich Männer wie Geheimrat Rubner, Bebel u. a. anschlossen. Der bekannte Berliner Kreisarzt Medizinalarzt Dr. Leppmann sagte vor einiger Zeit in einer im Hörsaale der Lassarschen Klinik abgehaltenen Versammlung der Gesellschaft für soziale Medizin und Hygiene und zwar unter vollem Beifall der bedeutendsten Psychiater, und vieler anderer Ärzte: Wenn zwei Erwachsene aus innerer Neigung sich homosexuell betätigen, ohne dabei ein öffentliches Ärgernis zu erregen, dann ist das eine reine Privatsache, die einen dritten nichts angeht. Deshalb fort mit dem Paragraphen. Der Staat hat jedenfalls kein Recht, hiergegen einzuschreiten. Es kommt hinzu, daß die Bestrafung der homosexuellen Betätigung ein Erpressertum großgezogen hat, das geradezu eine öffentliche Kalamität geworden ist. Es gibt tatsächlich nicht nur in Berlin, sondern in allen Großstädten der Welt eine ganze Anzahl Leute, in Berlin sollen sie nach Tausenden zählen, denen der Paragraph 175 des Strafgesetzbuches eine willkommene Handhabe bietet, ohne jede Arbeit ein geradezu schwelgerisches Leben zu führen. Das bekannte Sprichwort: „Calumniare audacter semper aliquid haeret“ („Verleumde nur immer kühn, es bleibt stets etwas hängen“), trifft ganz besonders hierbei zu. Es ist nichts leichter, als einen Menschen, den man aus irgendeinem Grunde ruinieren oder