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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

vornherein zu, daß der Angeklagte sich in unzählige Widersprüche verwickelt hat. Er lügt, sobald er den Mund auftut, er ist ein geborener Aufschneider und deshalb muß man alle seine Angaben überhaupt außer Acht lassen und sich nur an die nackten Tatsachen halten. Aus diesen wirklichen Tatsachen kann man zwanzig Schlüsse und Möglichkeiten ziehen, denn es handelt sich um einen Indizienbeweis. Die Wahrscheinlichkeit kann nicht die Wahrheit ersetzen, auch der geringste Zweifel muß hinreichen, um die Schuld als nicht erwiesen zu halten. Der Staatsanwalt hat selbst anerkannt, daß wahrscheinlich zwei die Tat vollführt haben, und deshalb hat man auch zuerst die Ehefrau als Mittäterin angesehen. Jetzt scheidet der Staatsanwalt aber die Frau selbst aus. Nun sollte man doch die Spuren des zweiten Täters verfolgen, und dazu gibt der Brief des Louis Schulz an das Konsulat in Rio de Janeiro die Handhabe. Die bisherigen Nachforschungen sind unzureichend, nicht einmal das Original des Briefes liegt vor. Ich beantrage daher: Das Strafverfahren gegen die Ehefrau abzutrennen und die Verhandlung gegen den Ehemann zum Zwecke weiterer Ermittelungen zu vertagen.

Staatsanwalt: Es ist richtig, daß der Angeklagte bei seiner ersten Vernehmung von einem Gastwirt Schulz gesprochen hat, der im Hause Königgrätzer Straße 35 gewohnt habe, er hat sich aber sofort dahin verbessert, daß er den Schankwirt Hinz meine. Wenn der Antrag des Verteidigers durchgeht, so gebe ich ihm zu bedenken, daß Gönczi noch Jahr und Tag in Untersuchungshaft sitzen kann und zwar nach wie vor in Fesseln, das wird er seinem Verteidiger zu verdanken haben. Ich möchte dem Verteidiger anheimgeben, seinen Antrag zurückzuziehen.

R.-A. Dr. Fränkel: Ich überlasse es dem Angeklagten, ob er den Antrag aufrechterhalten will. – Vors.: Angeklagter Gönczi, wie stellen Sie sich zu dem Antrage? – Angekl.: Meine arme Frau muß unschuldig sterben, es ist nun ganz egal, ob sie im Gefängnis unschuldig stirbt. Wenn es keine

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/88&oldid=- (Version vom 1.8.2018)