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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

in der öffentlichen Meinung hervorgerufen. Aber die Presse hat den Vorfall, verführt durch gewissenlose Reporter, furchtbar aufgebauscht. Selbst in politischem Sinne ist das Vorkommnis ausgebeutet worden. Die Angelegenheit hat in Form einer Interpellation den Reichstag beschäftigt. Ich stehe nicht an, zu sagen: Der Herr Staatssekretär des Reichsmarineamts, v. Tirpitz, hätte besser getan, wenn er die Beantwortung der Interpellation abgelehnt hätte, bis Sie, meine Herren, Ihren Richterspruch gefällt haben. Der Herr Staatssekretär sagte aber: er verurteile den Fall, unter dem Vorbehalt, daß die öffentliche Kriegsgerichtsverhandlung die Wahrheit aller vorgebrachten Behauptungen erbringen wird. Hätte der Herr Staatssekretär mit der Beantwortung bis nach dieser Verhandlung gewartet, dann wäre seine Beantwortung der Interpellation zweifellos anders ausgefallen. M. H., ich weiß, wir stehen alle unter dem Eindruck der öffentlichen Meinung. Ich ersuche Sie aber, alles außer acht zu lassen, was Sie in den Zeitungen gelesen oder sonst gehört haben, sondern lediglich das Ihrem Urteil zu Grunde zu legen, was in dieser Verhandlung vorgekommen ist. Das Vorkommnis selbst ist nicht näher aufgeklärt, man ist in der Hauptsache auf die Angaben des Angeklagten angewiesen. Der Angeklagte hat aber so offen und frei hier Rede gestanden, daß man nicht annehmen kann, er sei von der Wahrheit abgewichen. Die Zeugenaussagen waren naturgemäß im allgemeinen sehr unbestimmt. Sie standen zumeist unter dem Einfluß der eidlichen Vernehmung des Herrn R.-A. Dr. Niemeyer in Essen. Es ist das ein Verfahren, das mir bisher unbekannt gewesen ist. Jedenfalls ist nicht erwiesen, daß Hartmann sich ruhig benommen hat. Der Vorgang im Aschingerschen Lokale spricht vollständig gegen diese Behauptung. Es ist auch nicht widerlegt, daß der Angeklagte die Auffassung hatte: es sei seine Pflicht, den betrunkenen Soldaten zur Wache zu bringen, um ihn vor weiterem Alkoholgenuß zu bewahren. Der Angeklagte hatte zweifellos das Gefühl, daß Hartmann, als er sich losgerissen und mit erhobenem

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/109&oldid=- (Version vom 1.8.2018)