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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

angewiesen ist und unter einem Dache lebt ... außer einigen Postbeamten und dem Küster Skworzoff gibt es ja keine Russen mehr.“

Sie sah ihn mitleidig an. „Da müssen Sie sich aber entsetzlich vereinsamt fühlen!“

„Entsetzlich!“ wiederholte er dumpf.

„Ja, warum verkehren Sie denn nicht in den deutschen besseren Häusern?“

„Will man uns denn empfangen?“ fragte er bitter zurück. „Wir Russen werden ja seit der Russifizierung von der einheimischen Bevölkerung gehaßt!“

„Das ist ein Vorurteil!“ sagte sie leicht hin. – „Ich zum Beispiel, ich hasse Niemanden.“

Bewundernd blickte er ihr in das schöne, ein wenig kokette Gesicht. „Sie sind eben eine Ausnahme – Sie passen ja auch nicht in die hiesigen Kreise hinein!“

„Finden Sie?“ Sie lachte geschmeichelt. „Ja, Sie haben Recht, – in Libau ist man vorurteilsloser. Aber da Sie nun einmal hier leben, sollten Sie sich mit der deutschen Sprache befreunden, verstehen Sie kein Deutsch?“

„Gut Morgen, gut Abend, wie habben Sie geschljafen?“ sagte er auf deutsch – „das ist Alles!“

„Da haben Sie aber einen schlechten Lehrmeister gehabt. Es heißt nicht „gut“ Morgen, sondern guten Morgen und guten Abend, nicht „habben“, sondern haben Sie geschlafen, nicht schljafen.“

Empfohlene Zitierweise:
Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/132&oldid=- (Version vom 1.8.2018)