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Elegie
beim großen Fasse zu Heidelberg.




Faß! das man als achtes Wunder
Auf dem ganzen Erdball kennt,
Ach was hast du von dem Plunder,
Daß dich jede Zunge nennt?
Wärst du lieber angefüllet
Mit der Rebe Purpursaft,
Dem der Freude Rausch entquillet,
Der die Welt zum Himmel schafft!


Doch im Keller, tief und schaurig,
Weht um dich Verwesungshauch,
Durch das Spundloch hohl und traurig
Klafft nach Wein dein Riesenbauch.
Seufzest du noch lange lechzend,
Unbethaut von Most und Wein,
Ach dann brechen endlich ächzend
Deine dürren Rippen ein!


Zweimal, o der goldnen Tage!
Warst Du edlen Trankes voll.
Da entflohen Sorg und Klage,
Als Dir Himmelstrost entquoll.
Jedes Auge strahlte Wonne,
Feinde küßten lallend sich,
Weinerglüht der rothen Sonne
Manches Braven Antlitz glich!


Kehret wieder, Jubelstunden!
Mit der Freude Rebenkron’,
Daß dies Faß, von Laub umwunden,
Werd’ aufs Neue Bacchus Thron.
Mögen dann in lust’gen Schenken,
Bei der Becher hellem Klang,
Dessen auch die Zecher denken,
Der dies Klaglied durstig sang!




Mispel, der Kobold.
Ein Pasticcio von C. Spindler.
(Schluß.)


7.

Freundliche Gesichter sahen aus den hellen Fenstern, freundliche Arme umschlangen bald den Hausfreund-remplaçant. Eine sehr hübsche Frau küßte ihm den Staub von der Stirne, zwei winzige Blondköpfe nahmen Ränzel und Wanderstab ihm ab. Treue Freundeshand streckte sich ihm aus der Thüre entgegen, und im Nu saß er an dem kleinen Tische, besetzt mit Früchten und Wein, in der zierlichen von Reben umrankten Stube; – nicht ein Fremdling unter Fremden, sondern ein Hausvater unter den Seinen. Und also vergingen ihm die Tage in himmlischer Freude und Lust, daß er nimmer daran dachte, wie er nicht der Gärtner gewesen, sondern der ehescheue Julius. Ein wohlthätiger Zauber hatte ihn umgarnt, seine Brust erweitert, und ein ganzes Paradies darinnen angepflanzt, schöner als die Blumen seines Gartens, in dem er arbeitete, als sei das von Jugend auf sein Handwerk gewesen. Er hatte die Frauen gehaßt, aber hier fand er nur Treue und Liebe; er hatte den Freund mißtrauisch beobachtet, aber er fand ihn immer wie das klare Gold so probehaltig. Die Kinder hatten sich in

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Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 2). Braun & Schneider, München 1846, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_2.djvu/104&oldid=- (Version vom 15.9.2022)