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Dabei überall auf ganz bestimmte und genügende Resultate zu gelangen, dürfen wir nicht hoffen, und die Ansicht, es sei möglich, hier keinen Zweifel und Widerspruch ungelöst zu lassen, könnte nur die Unbefangenheit der Forschung beeinträchtigen. Oft mag dabei die Schuld am Forscher liegen, welcher entweder Zeugnisse, welche die Entscheidung hätten geben können, übersah, oder auch die ihm bekannten nicht hinreichend auszubeuten verstand; und wenn ich bedenke, wie oft sich während der Arbeit meine Ansichten über einzelne Punkte geändert haben, wie manche schwer wiegende Belegstelle mir ganz zufällig bekannt wurde, so wäre es gewiss thöricht anzunehmen, jetzt das Erreichbare wirklich erreicht zu haben, und sich zu verhehlen, wie nahe der Schluss liegt, dass bei fortgesetzter Beschäftigung mit dem Gegenstande manche Meinung sich vielleicht wiederum ändern, manche wesentliche Lücke sich ergänzen würde. Aber nicht alle Unvollkommenheiten fallen dem Forscher zur Last. Denn einmal wäre es sehr gewagt, zu behaupten, dass unser Quellenvorrath hinreiche, um über jede sich darbietende Frage genügend zu entscheiden; es sind die Lücken der Ueberlieferung, welche vielfach die bestimmtesten Gränzen ziehen. Andererseits wird gerade bei Untersuchungen, wie die vorliegenden, wohl zu beachten sein, dass sich das staatliche Leben früherer Jahrhunderte doch keineswegs in so scharf abgegränzten, so fest geregelten Formen bewegte, wie das der Neuzeit; alles unter ein und dieselbe Formel bringen zu wollen, nicht mehr an die Regel zu glauben, wenn einzelne Abweichungen nicht zu läugnen sind, würde kaum der richtige Weg zur Erkenntniss sein; es ist nicht zu bezweifeln, dass wir manche Fragen des Reichsstaatsrechts nicht desshalb zu lösen ausser Stande sind, weil uns die Fähigkeit oder die Hülfsmittel dazu fehlen, sondern desshalb, weil diese Frage überhaupt rechtlich niemals gelöst war, da die thatsächlichen Verhältnisse zur Entscheidung darüber keinen Anlass gaben; die Erörterung wird dafür genügende Belege bieten. Und so musste es mir der Sache förderlicher erscheinen, oft lange Erörterungen lieber mit dem offenen Bekenntnisse zu schliessen, dass ich eine genügende Lösung nicht zu finden wisse, als durch einseitige und gezwungene Behandlung der Quellenzeugnisse zu scheinbar ausreichenden Resultaten zu gelangen. Vergeblich scheinen mir desshalb auch solche Erörterungen nicht zu sein; möglich, dass an sie anknüpfend Andere zu sicherern Ergebnissen zu gelangen wissen; sind diese überhaupt unerreichbar, so wird auch das nachgewiesen zu haben als ein die Mühe lohnender Erfolg betrachtet werden dürfen.

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Julius von Ficker: Vom Reichsfürstenstande. Innsbruck: Verlag der Wagnerschen Buchhandlung, 1861, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ficker_Vom_Reichsf%C3%BCrstenstande_050.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)