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zu finden; bei der übergrossen Mannichfaltigkeit der Entwicklung konnte es nicht schwer sein, Beweise für alles herbeizuschaffen, was eben bewiesen werden sollte. Und trafen solche Bestrebungen auf Kernpunkte der Verfassungsgeschichte, so musste sich daraus ein völliges Zerrbild dieser mit Nothwendigkeit ergeben; man möge beispielsweise etwa den Ungereimtheiten nachgehen, welche sich durch die Werke eines der berühmtesten Publizisten, des Kanzlers von Ludewig, doch aus keinem andern Grunde hinziehen, als weil er sich im Interesse seines Hofes berufen fühlte, den kühnen Satz von der Entstehung der fürstlichen Landeshoheit mit dem Ausgange der Karolinger aufzustellen und festzuhalten. Wir werden im Verlaufe unserer Untersuchung zu manchen von einem unbefangenen geschichtlichen Standpunkte aus sich mit zweifelloser Bestimmtheit darbietenden Ergebnissen gelangen, welche noch im vorigen Jahrhunderte die wichtigsten Rechte, selbst die ganze staatsrechtliche Stellung manches Reichsstandes in ihren geschichtlichen Grundlagen untergraben hätten. Und wäre auch kaum zu erwarten gewesen, dass wissenschaftlich noch so wohl begründete Behauptungen den tatsächlich bestehenden Rechtszustand im allgemeinen hätten gefährden können, so würden dieselben doch unzweifelhaft dem lebhaftesten Widerspruche schon desshalb begegnet seien, weil sich nie absehen liess, in wie weit sie in Einzelfällen bei den sich jeder Vorherberechnung entziehenden Rechtshändeln der Reichsstände eine Rückwirkung würden üben können.

Seit die Umwälzungen unseres Jahrhunderts einen völlig neuen Rechtsboden geschaffen, haben jene Fragen ihr juristisches Interesse fast ganz verloren; finden sich auch immerhin noch einige Fäden, durch welche unser öffentliches Recht an die alte Reichsverfassung anknüpft, sind jene Fragen bei einzelnen Streitigkeiten auch jetzt nicht ganz zu umgehen, so sind das Einzelfälle, welche die Unbefangenheit wissenschaftlicher Prüfung im allgemeinen kaum mehr beeinträchtigen dürften. Die von uns aufgeworfenen Fragen sind seitdem mehrfach besprochen, indem theils die Verhältnisse des Fürstenstandes im allgemeinen, theils die rechtliche Stellung einzelner grosser Familien erörtert wurden. Die allgemeinern Untersuchungen über den Reichsfürstenstand sind aber doch keineswegs zu einem irgend befriedigenden Abschlusse gebracht, wie das kaum befremden kann, da der Gegenstand, abgesehen etwa von Hüllmanns Untersuchungen über den Ursprung der Fürstenwürde, nur im Zusammenhange mit andern und ohne dass besonderes Gewicht auf ihn gelegt worden wäre, behandelt wurde; zeitliche und örtliche Unterschiede wurden zu wenig gewürdigt; es fehlt insbesondere noch an einer festen Bestimmung der Gränzlinie, welche den Reichsfürsten von dem blossen Magnaten oder freien Herren schied, so zwar, dass weder die Vorrechte des Fürsten vor diesem schärfer festgestellt, noch auch die Kennzeichen nachgewiesen wären, aus denen sich der Fürstenstand

der einzelnen Grossen in früherer Zeit mit Sicherheit ergibt. So

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Julius von Ficker: Vom Reichsfürstenstande. Innsbruck: Verlag der Wagnerschen Buchhandlung, 1861, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ficker_Vom_Reichsf%C3%BCrstenstande_044.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)