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wieder aufhören zu wachsen. Und die das am verzweifeltsten leugnen: die Geistlichen – erkennen es am deutlichsten.

Scharff: Sie leugnen es freilich entschieden.

Wolfgang: Ja, – und doch sehen sie es auf Schritt und Tritt vor sich, daß Wissenschaft und Dogmenglaube sich um jedes Menschenherz reißen wie zwei Hunde um ein Stück Fleisch und daß fast immer der Dogmenglaube verliert, weil er alt und zahnlos geworden ist. Und was will denn ich? Was wollen wir? Wir wollen nur vor diesen Thatsachen nicht blind sein; wir wollen der großen Bewegung begegnen, wollen der großen unerzogenen Masse begreiflich machen, daß mit dem alten Glauben nicht das Edle und Erhabene versinkt, wollen das Volk zur rechten Zeit emporreißen zu neuen hoffenden Gedanken!

Scharff: Es kann aber nicht ausbleiben, daß du auch Gläubige wanken machst.

Wolfgang: Ein Gebäude, das im Sturm wankt, ist zeitig zum Abbruch.

Scharff: Aber warum den Zusammenbruch beschleunigen! Diese Menschen sind glücklich in ihrem Wahne. Er stärkt und tröstet sie; er versüßt ihnen sogar den Tod. Warum diesen Wahn zerstören? Wir Ärzte haben gerade in dieser Beziehung unsere Erfahrungen.

Wolfgang: (hustet.)

Scharff: Unterdrücke bitte diesen ironischen Hustenreiz. Darin hab’ ich wirklich Erfahrung, Mehr als 99 Prozent aller Kranken will nur mit Medizin kuriert werden. Warum

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Otto Ernst: Die größte Sünde. Conrad Kloss, Hamburg 1895, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ernst_Die_groesste_Suende.djvu/60&oldid=- (Version vom 31.7.2018)