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geschichtliche Wahrheit genommen, wenn er auch nicht an Selbstmord, sondern nur an einen Unglücksfall glauben will, da Bähr zu einer Zeit, wo der bestrittenste Theil seines Werkes, die Kuppel, glücklich vollendet war, keinen Grund zur Verzweiflung mehr haben konnte (Die Bauten von Dresden S. 95). Leider ist ihm hierin auch Jean Louis Sponsel gefolgt, indem er auf Seite 63 seiner ausgezeichneten quellenmäßigen Baugeschichte der Frauenkirche (Dresden, bei Wilhelm Baensch, 1893) berichtet: „Am 16. März des Jahres 1738 erhob sich der 72jährige Greis zum letzten Male von seinem Krankenlager, um das Werk seines Lebens noch einmal zu besuchen. Ob ihn nur die Absicht, den Bau einer nochmaligen Prüfung zu unterwerfen, um gegen die zu erwartenden Angriffe gewappnet zu sein, oder ob ihn andere Gründe dorthin führten, können wir heute nicht entscheiden. Durch einen Sturz von dem Baugerüste erlitt der Künstler einen schweren Schädelbruch und endete noch an demselben Tage in seiner Wohnung sein thatenreiches und schwergeprüftes Leben.“

Ich habe es von jeher bedauert, daß auf ein ganz unbeglaubigtes Gerücht hin das Andenken des trefflichen Meisters mit dem Verdachte des Selbstmordes belastet war. Jetzt aber, wo zu befürchten ist, daß, auf die Autorität Sponsels gestützt, alle Handbücher der Kunstgeschichte den Sturz Bährs als Thatsache behandeln werden, erschien es mir geradezu als Pflicht, der Sache einmal auf den Grund zu gehen. Meine Nachforschungen nach bisher unbekannten Nachrichten über das Ende des Künstlers sind nicht erfolglos gewesen. Zunächst fand ich in den Rathsprotokollen (Rathsarchiv A. II. 1001. Bl. 200b.) unterm 8. März 1738 folgende Niederschrift:

„Des alten Rathszimmermeister Bährens Abschieds-Schreiben, darinn er zugleich vor seinen Vetter Joh. Georg Schmieden, und sein Weib und 6 unerzogene Kinder bittet – abgelesen.“

Das Abschieds- und Bittschreiben selbst ist uns leider nicht erhalten, aber als eine Folge davon muß offenbar ein Rathsbeschluß betrachtet werden, wonach ihm noch an demselben Tage für verschiedene Modelle und Risse (vgl. Sponsel S. 121) eine Vergütung von 50 Thalern bewilligt wurde. Dieser Beschluß findet sich nicht im Rathsprotokoll, sondern auf einem besonderen Blatte, das den Belegen zur Kämmereirechnung für 1737/38 unter Ausgabekapitel 38 Nr. 17 einverleibt ist; er lautet:

„Nachdem der Zimmermeister George Bähr zeithero verschiedene Modelle und Riße vor uns verfertiget, und nicht allein Leuthe dazu gebrauchen, sondern auch besondern Aufwand thun müßen: Als sind demselben aus unsrer Cämmerey Funfzig Thaler zu bezahlen, und Kraft dieses behörig in Ausgabe zu verschreiben. Zumahln er solcher bey seiner langwierigen lagerhaften Krankheit vornehmlich bedürffig ist. Dresden am 8. Martii 1758.
Der Rath zu Dreßden.“ 

Unter dieser Rathsverordnung befindet sich auf demselben Blatte folgender, von Bähr drei Tage vor seinem Tode mit zitternder Hand unterzeichnete Quittungsvermerk:

„Vorherstehende Funffzig Thaler habe aus E. Edl. Raths Cämmerey richtig erhalten, und wird darueber mit Danck quittiret. Dresden den 13. Marţzii 1738.
George Bähr Zimmer Meister.“ 

Weiter verzeichnet das erwähnte Rathsprotokoll auf Bl. 201 unterm 11. März 1738 folgenden Beschluß :

„Verordnung in die Cammerey wegen Erlaßung derer Zinsen dem Zimmermeister George Bähren von seim schuldig gewesenen Capitale a 400 Thlr. in die Cämmerey vom 25. Oct. 1736 bis izo in Betracht seiner Kranckheit und bishero ex officio gethanen Diensten.“

Die hier beschlossene Verordnung vom 11. März ist als erstes Blatt in dem Belegbande zur Kämmereirechnung auf 1737/38 eingeheftet und lautet dahin, daß, nachdem Bährn auf sein Ansuchen die fraglichen rückständigen Zinsen „in Ansehung verschiedener vor uns zeithero gefertigten Riße und Modelle, auch dabey adhibirten Leuthe und selbst gethanen Aufwands bey fortwehrender seiner Kranckheit erlassen“ worden, die Obligation gegen Abtragung des Kapitals ihm auszuhändigen sei.

Aus diesen Schriftstücken geht vor allem unwiderleglich hervor, daß Bähr wegen Alter und Krankheit acht Tage vor seinem Tode in aller Form seinen Abschied als Rathszimmermeister nahm. Er hatte nach diesem Ausscheiden aus dem Amte keine Veranlassung mehr, den Bau der Frauenkirche „einer nochmaligen Prüfung zu unterwerfen“ und die Gerüste zu besteigen, selbst wenn die noch als fortdauernd bezeugte „lagerhafte Krankheit“ ihm dies gestattet hätte. Dies dürfte schon genügen, um die Erzählung von einem Sturze Bährs als unglaubhaft erscheinen zu lassen. Volle Gewißheit freilich über die Ursache seines Todes könnten nur die Kirchenbücher geben und diese sind leider beim Brande der Kreuzkirche im Jahre 1760 zu Grunde gegangen – so glaubte man bisher und hatte auch Recht, soweit es sich um die eigentlichen Kirchenbücher handelt. Aber es gab beim Rathe eine Sammlung von Listen über die Getauften, Getrauten und Begrabenen, die ihm die Kirchner der hiesigen Parochien allwöchentlich einzureichen hatten. Diese Kirchennachrichten

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 282. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/293&oldid=- (Version vom 13.5.2024)