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angeregten jungen Dame in Dresden in ästhetisch-moralischem Interesse geführt worden. Es ist ein Seitenstück zu W. v. Humboldts Briefwechsel mit einer Freundin und manch’ anderer Korrespondenz ähnlicher Art. Literarische, religiöse, ethische und psychologische Fragen, das sind im Wesentlichen die Gegenstände, die hier in der höflichen, komplimentenreichen Weise des vorigen Jahrhunderts behandelt werden. Diese Briefe sind weniger ein Spiegel der Ereignisse als der Empfindungen der Zeit des Zopfes und des Reifrocks.

Was den Gelehrten Ebert veranlaßte, die Briefe herauszugeben, war das literarhistorisch-biographische Interesse. Er wollte durch das Buch einen Beitrag zur Kenntniß Gellerts liefern, der damals trotz Schiller und Goethe noch immer in gewissem Sinne die Zeit beherrschte. In der That ist dieser Briefwechsel eine unschätzbare Quelle zur Kenntniß des Dichters und seiner Zeit. Er zeigt uns den Gellert der letzten zehn Lebensjahre in seinen häuslichen (78. Brief) und amtlichen, wie geselligen (95. Brief) und literarischen Beziehungen, er malt uns den edlen Mann in seiner ganzen kleinbürgerlichen Gediegenheit, in seiner Frömmigkeit und Demuth, in seiner Heiterkeit und Milde. Daneben fällt manch helles und erquickliches Licht auf seine Zeitgenossen: Rabener, Maler Oeser, Graf Moritz von Brühl, die Generäle Laudon, Ziethen u. A. m.

Uns interessirt der Briefwechsel wegen seiner kultur- und lokalgeschichtlichen Bedeutung. Ist die Korrespondenz in ihrer Gesammtheit ein getreuer Spiegel des Lebens der gebildeten Gesellschaft um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, so bietet sie im Einzelnen eine Fülle von Zügen, aus denen wir ein Bild der Zustände in dem Sachsen und Dresden jener Tage gewinnen, wie es nicht unmittelbarer und reizvoller sein kann. Ihr Sachsen, ihr Dresden – und Leipzig – liebt die Demoiselle mit echt sächsischem Lokalpatriotismus. „Ich habe keinen Ort in der Welt so lieb als Dresden und Leipzig“, schreibt sie. „Diese zween fassen alles in sich, was mir das Liebste und Theuerste ist.“ Wie Gellert ihr das Karlsbader Badeleben (77. und 109. Brief) frisch und anschaulich beschreibt, so liefert sie anmuthige Schilderungen des Dresdner Hoflebens. Wir erfahren, daß man schon damals in die katholische Hofkirche ging, „eine gewiß schöne Musik zu hören“, und daß man auch damals schon an der Thüre sich aufstellte, um die fürstlichen Herrschaften zu schauen – nicht selten küßte man diesen die Hände (166. Brief). Wir hören in ausführlichster, prächtigster Schilderung, wie man in Pillnitz bei Hofe unter Feuerwerk und Lustbarkeiten aller Art den Geburtstag des Prinzregenten Xaver feierte, und nehmen im Geiste an der Hochzeit des jungen Kurfürsten Friedrich August Theil (110. und 177. Brief). Wir lassen uns auf die Vogelwiese (76. Brief) oder in den Großen Garten führen, beobachten das Straßenleben in der Seestraße oder in den Vorstädten und lassen uns als Absteigequartier ein hübsches Haus in der Breitestraße empfehlen (41. Brief): „In Gasthöfen, lieber Herr Professor, giebt’s keine stillen Stübchen; allein ich will mir die Freiheit nehmen, Ihnen eine Adresse zu geben. Auf der breiten Gasse (es ist die stillste, einsamste Gasse in der ganzen Stadt), im Wiedemannischen Hause (es wohnen lauter stille, eingezogene Leute in den Hause) drei Treppen hoch, da würden Sie recht ruhig und stille sein können.“ Bei unserem Gang durch das damalige Dresden lernen wir manchen bedeutsamen Mann kennen. Zur Einweihung der alten reformirten Kirche 1767 war der berühmte Zollikofer aus Leipzig herübergekommen (156. Brief): „Am Sonntage vor acht Tagen ging ich recht mit Freuden in die Kirche. Ihr würdiger Zollikofer predigte hier. Seine Einweihungsrede hatte vortreffliche Stellen. Wie heilig ist diese Stätte! Diese Worte höre ich noch; ihr feierlicher Klang scheint noch mein Ohr zu rühren. Er ließ zwei von Ihren Liedern singen, und für mich war dieses das erste Mal in öffentlicher Versammlung.“ „Auch kann ich mich rühmen“, heißt es im 32. Briefe „einen deutschen Autor, einen berühmten Mann, der Ihr Freund ist, von Weitem gesehen zu haben. Herr Rabener wohnt nunmehr auf unserer Gasse, aber etwas entfernt; und dieses ist eben Ursache, daß ich nichts mehr von ihm weiß, als daß er ein braunes Kleid und eine roth und weiße (Nacht-) Mütze hat.“ Daneben werden fast alle hervorragenden Personen der damaligen Beamtenwelt und Aristokratie Dresdens berührt. Wir lernen kennen Glieder der Familien Brühl, von Globig, von Miltitz, von Witzleben, von der Schulenburg, von Schönfeld, Vitzthum und hundert andere. Wie reizvoll und schön die Feder Gellerts einzelne zu schildern weiß, dafür nur ein Beispiel. „Ich freue mich im Voraus über die Vortheile“, so schreibt er im 65. Briefe, „die Ihnen die Bekanntschaft mit der Gräfin Vitzthum und ihrer Tochter bringen wird. Die Gräfin ist eine der besten Damen, die ich jemals gekannt habe. Sie macht ihrem Geschlechte nicht bloß durch Verstand, Geschmack und Lebensart, sondern noch mehr durch die Güte des Herzens, durch Religion und ein leutseliges Betragen Ehre, und die Tochter ist dieser Mutter werth. Wenn Ihr Hof in Dresden viel solche Damen hat, so ist er ohne Ausnahme der beste, und wenn Sie, liebste Lucius, den Beifall und die Gewogenheit der Gräfin und ihrer Tochter haben, so können Sie mit sich zufrieden sein, wenn Sie auch hundert anderen Damen nicht gefallen sollten. Ich gehöre, stolz zu reden, zu dem Vitzthumischen Hause, kenne es durch einen vieljährigen Umgang und durch oftmaligen Aufenthalt in demselben genau und habe nicht bloß ein Recht mehr als andere, sondern

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/266&oldid=- (Version vom 13.5.2024)