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nach Warschau und anderwärts hin genöthigt, oft von Hause abwesend zu sein, ließ aber seine Kinder, einen Sohn und zwei Töchter, von denen Karoline neun Jahre älter war als die andere, sehr sorgfältig durch Hauslehrer erziehen. Die sonstige häusliche Erziehung und das Hauswesen überhaupt leitete die verständige Mutter und ließ den Töchtern Zeit zu einer ausgebreiteten Lektüre. Es war die Zeit, wo nach langer Dürre die Blüthe der „schönen Wissenschaften“ in Deutschland begann und auch „das Frauenzimmer“ an dem Leben höherer Bildung mit Antheil nahm. Lieblingsautor in der Familie Lucius war der Dichter Gellert, der mit seinen Fabeln und geistlichen Liedern, seinen Briefen und Dramen die damalige Welt entzückte. Seine Bücher waren echte Familienbücher, aus denen man Unterhaltung, Belehrung und Erbauung schöpfte und die durch ihre reizende Form auf jedes unverdorbene Gemüth ihre Wirkung thaten. Von den Büchern aber wandte sich gleich Hunderten aus allen Ständen Demoiselle Lucius zur Person des Dichters, und sie ging, obgleich 25 Jahre jünger als er, in ihm auf in stürmischer Verehrung. Der alte Junggeselle war weit entfernt, an eine Verbindung mit seiner Brieffreundin zu denken, die eben für ihn nur die „Freundin“ blieb, wie denn das ganze Verhältniß durchaus nur ein platonisches, moralisch-ästhetisches war. Aber es war sein Herzenswunsch, in anderer Weise ihr Glück zu begründen. Der gute Professor, der so vielen seiner Freunde Hauslehrer verschaffte, wünschte gar zu gern, seiner Dresdner Freundin einen Mann zu verschaffen. Reizend ist der Brief, mit dem er sich im Sommer 1761 an sie wandte: „Liebste Mademoiselle! Ich wage es, Ihnen einen Antrag zu thun, der Ihnen ziemlich fremd vorkommen wird; aber thun Sie, als ob ich Ihr Onkel wäre, und hören Sie mich gelassen an. Der hiesige Kantor an der Thomasschule, Doles, einer meiner Bekannten und Freunde, ein Wittwer, sucht eine gute Frau und hat mich im Vertrauen gefragt, ob ich keine für ihn wüßte. Ich habe ihm im Vertrauen geantwortet, daß ich allerdings eine wüßte, ein sehr gutes, liebes Frauenzimmer, die ich zwar nie gesehen hätte und von der ich doch sicher glaubte, daß ein wackerer Mann sehr glücklich mit ihr leben würde. Wer dieser Doles ist? Stellen Sie sich einen Mann von 40 Jahren mit einer aufrichtigen, verständigen und heitern Miene vor, dessen Person gut gewachsen ist, der sich gut trägt und durch sein äußerliches Betragen Vertrauen erweckt. Sein Charakter? Er ist ein rechtschaffener Mann, christlich, anständig und wirthschaftlich. Er ist sehr musikalisch und hat doch Geschmack und Liebe für die anderen schönen Wissenschaften. Er ist ein vertragsamer Kollege, ein zufriedener Mann im Hause und ein munterer, bescheidener Mann in Gesellschaft. Sein Amt? Ich weiß nicht, wie viel es beträgt, aber das weiß ich, es ernährt den Mann und die Familie bequem. – Nun bin ich fertig mit meinem Antrage; und was denken Sie dabei, liebste Mademoiselle? Wenigstens so viel, daß ichs gut meine. Sie sind nicht sicher, wenn Sie diesen Antrag von sich entfernen, denn ich werde Ihnen von Zeit zu Zeit aus wahrer Hochachtung und Freundschaft neue thun.“ Das Gelungenste bei der Sache ist, daß Gellert diesen Brief gar nicht absandte, sondern erst später der Dresdner Freundin von seinem Antrage Mittheilung machte. Die Demoiselle war ohnehin nicht geneigt, vor den Altar zu treten; statt einem Manne zu folgen, zog sie es vor, noch eine Reihe von Jahren mit dem Leipziger Freunde zu plaudern. Erst fünf Jahre nach Gellerts Tode, am 6. Oktober 1774, reichte sie, nun fast 35jährig, einem Manne die Hand. Sie heirathete den Pastor Gottlieb Schlegel in Burgwerben bei Weißenfels, durch welchen sie mit den Gellert einst so eng befreundeten Gebrüdern Schlegel verwandt ward. Fast 40 Jahre lebte sie nun in wehmüthig-heiterer Erinnerung an den heimgegangenen Jugendfreund als Pfarrfrau in dem idyllisch gelegenen Dörfchen. Nachdem ihr Gatte am 21. Januar 1813 im Alter von 82 Jahren gestorben war, zog sie wieder in ihre alte Heimat. Seit Juni 1814 finden wir sie wieder in Dresden, wo sie zuletzt auf der Hauptstraße 137 I (jetzt Obergraben 2) in seltener Munterkeit des Körpers und Geistes bis 1833 lebte und im Alter von fast 94 – nicht 91 Jahren, wie die Grabschrift sagt – das Zeitliche segnete. Hochgebildet und Gellert geistig verwandt hat sie außer drei Uebersetzungen aus dem Englischen und Französischen ein freilich wenig gelungenes Trauerspiel „Duval und Charmille“ geschrieben, welches der ihr befreundete Kreissteuereinnehmer Felix Weiße (Leipzig 1778) ohne ihren Namen herausgab. Die Veranlassung zu diesem Drama hatte eine Mordthat gegeben, die am 3. Weihnachtsfeiertag 1777 in Dresden geschehen war. Im Jahre 1823 ward ihr Briefwechsel mit Gellert der Oeffentlichkeit übergeben. Der Dichter selbst, der auf die Korrespondenz mit der Demoiselle hohen Werth gelegt hatte, hatte deren unverkürzte Aufnahme in seine Werke gewünscht; es sind indeß nur einige Proben dieser Briefe in seinen Werken zu finden. Da lernte der Dresdner Oberbibliothekar Friedrich Adolf Ebert († 1834) die alte Dame kennen und erhielt von ihr die Genehmigung, die gesammte Korrespondenz zu veröffentlichen. So erschien 1823 bei Brockhaus in Leipzig mit einer Einleitung Eberts „aus den bisher meist noch ungedruckten Originalen“ der „Briefwechsel Christian Fürchtegott Gellerts mit Demoiselle Lucius“, 640 Seiten in Groß-Oktav.

Wie schon erwähnt, ist der Briefwechsel zwischen dem gelehrten Professor und Dichter und der geistig

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/265&oldid=- (Version vom 13.5.2024)