Seite:Dresdner Geschichtsblätter Erster Band.pdf/264

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.


V. Jahrgang          1896          Nr. 2.


Von diesen Blättern erscheinen jährlich 4 Nummern im Umfange von 1½ bis 3 Bogen. Bestellpreis für den Jahrgang 3 Mark. Die Vereinsmitglieder erhalten die Blätter unentgeltlich zugesandt.


Demoiselle Lucius,
Gellerts Dresdner Freundin.
Von Pastor Fr. Blanckmeister.

Auf dem inneren Neustädter Friedhofe findet sich im „zweiten Land“ Abtheilung G, Wandstelle 59, unmittelbar neben den Gräbern des Dichters Tiedge und seiner Freundin Elisa von der Recke die Ruhestätte einer edlen Frau mit der Inschrift:

„Hier ruhet Christiane Karoline geb. Lucius,
verehel. Schlegel, Gellerts Brieffreundin;
starb den 27. August 1833 im 91. Lebensjahre.
Ihr heitrer Sinn
War Heilsgewinn,
Geist, Muth und Herz
Drang himmelwärts.“

Die dort unter längst verfallenem Rasenhügel seit zwei Menschenaltern schläft, ist Demoiselle Lucius, die durch Gellert zu einer gewissen Berühmtheit gelangt ist.

Es war Ende Oktober 1760, daß der berühmte Leipziger Professor einen zierlichen Brief erhielt, der nach der Aufschrift unzweifelhaft von Damenhand geschrieben sein mußte. Er erbrach ihn und las: „Dresden, den 21. Oktober 1760. Hochzuehrender Herr Professor! Ich bitte Sie nicht, daß Sie mir’s erlauben, an Sie zu schreiben; denn ich bin so entschlossen, es nicht zu unterlassen, Sie möchten mir es nun erlauben oder nicht. – Ich denke unbeschreiblich gut von Ihnen. Ich bedeute zwar nicht sonderlich viel in der Welt, aber daß ich Sie so sehr liebe, ist doch wohl ein großer Beweis, daß mein Urtheil nicht zu verachten ist und daß ich Verstand habe. – Ihren Charakter und Ihre Grundsätze weiß ich aus Ihren Schriften fast auswendig. Hernach martere ich eine jede Person von unserer Bekanntschaft, die das von uns beneidete Glück genießt, Sie persönlich zu kennen, fast todt mit unsern Fragen, und ich weiß nunmehr alles: wie Sie aussehen, wie Sie reden, wie Sie gehen, wie Sie sich kleiden, wie Ihre Perücken, Mützen, Trodelwesten, Schlafpelze u. s. w. aussehen; und das stelle ich mir alles so lebhaft vor, daß ich Sie malen und treffen wollte, ohne Sie gesehen zu haben.“

Professor Gellert war über diesen Brief aufs Höchste und Angenehmste erfreut. „Ich müßte sehr unempfindlich sein“, schrieb er, „wenn mir Ihr Brief nicht hätte gefallen sollen und sehr undankbar, wenn ich Ihnen nicht gleich den ersten Tag für dieses unerwartete Geschenk danken sollte. In der That kann ich mich nicht erinnern, daß ich jemals einen so lachenden und doch natürlichen Brief von einem Frauenzimmer erhalten hätte; von einer Mannsperson will ich gar nicht sagen, denn unser Witz ist nicht frei genug zu dieser Schreibart. Sind Sie mit dieser Danksagung zufrieden?“ Sie war zufrieden, die jugendlich-naive Briefschreiberin, sie war entzückt, daß ihr ein Gellert so liebenswürdig entgegengekommen war; und nun entspann sich zwischen Beiden ein Briefwechsel, der 182 Nummern umfaßt, ziemlich ein Jahrzehnt lang währte und erst mit Gellerts Tode im Dezember 1769 endete.

Die junge Dame, welche Gellert, damals der erste Schriftsteller Deutschlands, seiner Freundschaft und seiner Korrespondenz würdigte, muß unser ganzes Interesse erregen, umsomehr als sie eine Dresdnerin ist. Christiane Karoline Lucius war am 7. Dezember 1739 in Dresden geboren. Ihr Vater, der Geheime Kabinetsregistrator Karl Friedrich Lucius, war zwar durch weite Dienstreisen

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/264&oldid=- (Version vom 12.5.2024)