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erblickte, gelobe ich es mir, ich will nicht rechnen, wie viel ich von meiner Schwester Liebe empfange, wie viel ich gebe! – Leben will ich für die Theure und ihr Leben erheitern, so viel meine Kräfte es erlauben. Auch das Herz der kalten, herrschsüchtigen, egoistischen V.[1] will ich zu gewinnen suchen; meiner Sophie war es ja gelungen, dies eigensüchtige Gemüth für sich zu erwärmen! – Ja! unsere geliebten Todten wirken auch selbst nach ihrem Dahinscheiden durch das Andenken ihrer Tugenden wohlthätig auf uns, sobald diese uns immer gegenwärtig bleiben.

Den 26. Mai. Wie schön feierte gestern Abend Naumann den Geburtstag meines seligen Bruders. Meine Schwester mit ihrem ganzen Gefolge, mich und G. hatte er zu einem kleinen Concerte zu sich gebeten. Naumann überraschte meine Schwester und mich durch ein Quartett, welches er für die Harmonika komponirt hatte. Die Flöte, die Laute und das Violoncell wetteiferten miteinander: die Harmonika und Flöte drückte himmlische Empfindungen aus, die mich über dieser Endlichkeit Schranken erhoben; die Laute und das Violoncell hatten etwas Irdischeres, aber die zärtlichste Melodie drang auch bei diesen beiden Instrumenten, von der vollkommensten Harmonie beseelt, tief in das bewegte Gemüth. Auf der Harmonika zauberte Naumann unnachahmlichen Wohllaut hervor! Dieser schien aus höheren Sphären zu uns hernieder zu tönen: nur die Flöte durfte mit der Harmonika wetteifern und konnte sie begleiten, ohne verdunkelt zu werden. Wagten aber die andern Instrumente sich neben die Harmonika, dann mußten sie ihren Weg allein gehen oder sich mit einander vereinigen, um einen gefälligen Eindruck zu machen. Trafen aber alle vier Instrumente zusammen, dann war das Aetherische mit dem Irdischen in einer entzückenden Harmonie vereint. Naumann sagte mir, er habe durch dies Quartett die hohe geistige und die zarte sinnliche Liebe darstellen wollen: durch die Harmonika und Flöte habe er die edelste Geschwisterliebe auszudrücken gesucht, und ich solle dies Quartett als die Geburtstagsfeier meines seligen Bruders betrachten.

Den 31. Mai Morgen reist meine Schwester mit ihrem Gefolge nach Karlsbad: ich kann der guten Seele erst in drei Tagen nachfolgen; denn mein Quartier im Pomeranzenbaum wird nicht vor dem 7. Juni leer. Fast einen ganzen Monat habe ich nun wieder den interessanten Umgang des Grafen G. genossen, und täglich wurde er mir lieber, wenngleich die Bemerkung mich schmerzt, daß er von der Kraft menschlicher Würde sehr niedrige Begriffe hat. Freilich, er ist Diplomatiker und da stößt er oft auf Unredlichkeit in Verhandlungen der Kabinette. Ach! es muß für ein edles Gemüth ein trauriger Zustand sein, wenn es den Glauben an ächte Menschenwürde verliert. Auch habe ich in diesem Zeitraume an G. mehr Mißmuth und Hang zu übler Laune bemerkt, als in den fünf Wochen, die er verflossenen Sommer in Karlsbad mehrentheils in meiner Gesellschaft zubrachte: doch, ist G. auch einen Tag mißmuthig, dann ist er den nächsten wieder so zuvorkommend, so liebenswerth, so innig, daß man gedoppeltes Interesse an ihm nehmen muß. – Um meine Schwester zu erheitern, schlug er es vor, die Sächsische Schweiz zu besuchen. Noch innigeren Genuß als das erste Mal hatte ich in diesen romantischen Felsengegenden; denn meine Schwester freute sich mit mir dieser herrlichen Felsenparthien. Nur ein mich schmerzender Eindruck ist mir dennoch von diesem Tage zurückgeblieben. In einer der schauerlichsten Grotten des Lohmerthales las Graf G. uns Schiller’s „Resignation“ mit hoher Begeisterung vor. Ich kannte dies furchtbar schöne Gedicht noch nicht und erschrak über den Eindruck, den es auf alle Anwesende machte! Alle erschöpften sich in Lobsprüchen über den tiefen, philosophischen Sinn, über die Innigkeit des Gefühls und über die unnachahmliche Schönheit des poetischen Werthes dieses erhabenen Produktes der Dichtkunst. Man forderte mein Urtheil, und ich sagte – mit schmerzhaftem Grausen habe dies poetisch schöne Gedicht mich erfüllt: ich könne Schillern nur dann die so tief eindringenden Zweifel über Unsterblichkeit verzeihn, wann er nur sein hinreißendes Dichtertalent dazu anwenden würde, diese Zweifel mit eben der Kraft der Sprache philosophisch zu widerlegen. Die Gesellschaft sagte einstimmig – ! das kann er nicht, das kann kein Philosoph in Prosa – schmerzhaft gerührt rief ich aus: dann hätte Schiller seine Resignation verbrennen müssen, ehe er nur irgend einer Seele seine finstre Ansicht mittheilte, denn wer den Glauben an Unsterblichkeit untergräbt, befördert die Immoralität der Menschen! – Ich hatte bei diesem Streite die ganze Gesellschaft, auch meine Schwester und G. gegen mich. Dortchen Stock sagte scherzend, wenn Minister Burgsdorff meine Aeußerungen gehört hätte, dann würde er noch größere Hoffnung haben, mich zur Herrnhuterin zu machen.[2] Ich erwiderte: meine Vernunft könne eben so wenig an meiner ewigen Fortdauer mit Bewußtsein


  1. Julie von Vietinghoff, eine Hofdame der Herzogin von Kurland. Sie hatte Elisa Jahre lang von dieser zu entfernen gesucht, sah aber später ihr Unrecht, sie verkannt zu haben, ein, wohnte als Wittwe ausgesöhnt mit ihr in ihrem Hause und starb in ihren Armen.
  2. [Nachschrift]: „Dresden, den 28. Juni 1825. Minister Burgsdorff war sehr bemüht, mich zur Herrnhuterin zu machen, aber er blieb mein Freund, auch nachdem er einsah, daß ich nach meinen Religionsansichten und festen Grundsätzen zu dieser Sekte nie treten könne“.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/119&oldid=- (Version vom 4.5.2024)