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zu gelten. Doch da es mir einzig und allein um die Wahrheit zu thun ist, oder, um mich richtiger auszudrücken, um das was ich für Wahrheit erkannt habe, und da ich überdies nicht vorgebe eine Autorität in der Kunstwissenschaft zu sein, sondern vielmehr ein Lernbegieriger, auch an der Meinung des großen Publikums mir sehr wenig gelegen ist, um so weniger als in solchen Fragen es gar keine öffentliche Meinung giebt oder geben kann, – will ich auch hier meine Ueberzeugung zum besten geben und offen bekennen, daß sowohl die „Taufe“ als die „Auferstehung Christi“ (No. 1173 und 1185) mir nicht als Werke des P. Perugino erscheinen, und noch viel weniger des jungen Raffael Sanzio von Urbino. Die Komposition und wohl auch die vorzüglichen Zeichnungen zu diesen schönen Predellen mögen allerdings auf P. Perugino selbst zurückgehen, gleich wie die Komposition zum großen Bilde der „Auferstehung Christi“ in der vatikanischen Galerie[1], mit dem das eine dieser kleinen Bilder fast identisch ist[2], vom Meister selbst herrührte; in der Ausführung jedoch auch dieser Predellen in München glaube ich ganz deutlich die Hand und das Machwerk des Giovanni Spagna zu erkennen. Ich halte Spagna für einen Schüler des Fiorenzo di Lorenzo; die Art und Weise, wie er z. B. den Saum der Wolken beleuchtet, um nur einen charakteristischen Zug unter vielen hier anzuführen, ist durchaus die des Fiorenzo[3] und ganz abweichend in der Art des Perugino die Wolken zu formen und zu beleuchten.


  1. Daselbst für das Kollektivwerk des P. Perugino und des jungen Raffael ausgegeben, jedoch, nach meinem Dafürhalten, ebenfalls von Perugino komponirt und von seinem Gehilfen Giovanni Spagna ausgeführt.
  2. Der Christus in diesem Bilde zu München (No. 1185) erinnert lebhaft an jenen im Vatikan; so ist auch hier beim Christus das Unterbein eben so steif und hart modellirt, wie bei etlichen jener Musen, die vom Schlosse Magliana in die Galerie des Kapitols gebracht wurden, und welche als Werke des Spagna nun allgemein anerkannt sind.
  3. Man betrachte die zahlreichen Bilder von seiner Hand in der städtischen Galerie von Perugia; in Deutschland besitzt die Galerie des Städel’schen Instituts ein vorzügliches Werk von ihm (No. 15).
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/112&oldid=- (Version vom 31.7.2018)