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wohl auch dem jungen Fra Bartolommeo vorgeschwebt haben muß, als er in einem jetzt gleichfalls in der Akademie von Florenz befindlichen Bilde den nämlichen Gegenstand zur Darstellung brachte[1]. Die Herren Cr. und Cav. (III, 255) lassen natürlich dieses Bild der Münchener Galerie als Werk des P. Perugino gelten, nehmen aber an, daß es wahrscheinlich eine Kopie[2] des von Vasari als Werk des Raff. del Garbo beschriebenen Gemäldes sein dürfte, als ob Vasari’s Bilderbestimmungen so unbesehen angenommen werden müßten.

Das Bild No. 590 gehört dagegen wieder zu den schwachen Arbeiten des Perugino; es ist oberflächlich gedacht wie gezeichnet und gemalt. – Und nun erübrigt uns noch die Besprechung der zwei berühmten Predellen, welche unter den Nummern 1179 und 1185 im Cabinet 20 ihren Platz gefunden und seit Jahren die Aufmerksamkeit der größten Kunstkenner Deutschlands, Italiens und Englands auf sich gezogen haben. Auf der einen Seite stehen Deutschlands berühmteste Autoritäten für Raffael, die Herren von Rumohr und Passavant, welche diese Predellen dem jungen Raffael zuschreiben, auf der andern die eben so berühmten Autoritäten Englands und Italiens, die Herren Cr. und Cav., in deren Augen es nur Werke des P. Perugino sind. Ein weiser Mann sollte nun bei solchem Zwiespalt der Großen sich fein still verhalten und seines Weges weiter ziehen, um nicht Gefahr zu laufen, mit seiner einzelnen Meinung bei dem großen Publikum als ein Ketzer


  1. Von den zwei Handzeichnungen der Uffizisammlung, auf die sich die florentinischen Kommentatoren des Vasari berufen, wird die eine (Glaskasten 439) dem P. Perugino zugeschrieben, ist aber, wie mir scheint, blos eine Kopie nach Perugino; die andere (im Glaskasten 436) schreibt man in Florenz zwar dem Raff. del Garbo zu, ist aber in meinen Augen auch nichts mehr als eine andere Kopie nach demselben Bilde des Perugino
  2. „There is a copy of this Vision (of S. Bernard) in S. Spirito at Florence, the original being given by Vasari to Raff. del Garbo.“
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/111&oldid=- (Version vom 31.7.2018)