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Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Erster Band

erschien mir mehr geputzt und aristokratisch als angenehm. Ich sah auch einige Gestalten, wie ich sie in den Salons der neuen Welt und ganz besonders in den Salons Neuenglands nicht zu finden geglaubt hätte, so aufgeblasen, hochmüthig und unschön waren sie; in ihren Blicken und Gestalten stand „Geldbrotzthum“ zu lesen. Man sagte mir, Mrs.*** und ihre Schwester haben ein Jahr in Paris zugebracht. Sie hätten von da, außer den Moden, etwas Pariser Grazie und Lebensart mitbringen sollen. Geldstolze Leute haben es in der Civilisation gerade so weit gebracht wie unsre Lappländer, die keinen andern Werth anerkennen, als den des Reichthums, und die das Verdienst eines Mannes nach der Zahl seiner Rennthiere bemessen. Ein Mann mit tausend Rennthieren ist ein sehr großer Mann. Die Geldaristokratie ist die niedrigste und roheste, die sich denken läßt. Um so schlimmer ist sie, in ganz unmäßigem Grade, in der neuen Welt daheim. Man kann auch den vollkommen üblichen Ausdruck über einen Menschen hören: „Er ist so und so viele Dollars werth.“ Aber die Besten hier verschmähen solche Ausdrücke. Sie würden niemals die Lippen eines Marcus Spring, eines Channing oder Downing beschmutzen. In Bezug auf das fashionable Leben muß gesagt werden, daß es hier nicht als das Höchste angesehen wird. Man hört von Leuten sprechen, die über der Mode (above fashion) stehen, und mit diesen meint man die Bevölkerung der höchsten Klasse. Es ist mir klar, daß sich hier allmälig eine Aristokratie bildet, die hoch über der gewöhnlichen[WS 1] der Geburt, des Vermögens oder der gesellschaftlichen Verbindungen steht, und die Aristokratie des wirklichen Verdienstes, der Liebenswürdigkeit und des Charakters ist. Allgemein ist sie indeß noch nicht. Es ist bis jetzt noch ein kleines Häuflein. Aber dieses wächst an und die Idee greift um sich.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: gegewöhnlichen
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Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Erster Band. Franckh, Stuttgart 1854, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Heimath_in_der_neuen_Welt,_Erster_Band.djvu/215&oldid=- (Version vom 9.9.2019)