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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

stimmungsvolle und einfache Trauerakt begann mit gemeinsamem Gesang: „Nun wir uns allhier beisammen finden!“, dem Lieblingschoral der verewigten Fürstin; darauf hielt Pastor Westphal aus Brunstorf die Trauerrede, welcher der Text Offenb. Joh. Kap. 14 Vers 13 zu Grunde lag: „Und ich hörte eine Stimme vom Himmel zu mir sagen: Schreibe: Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben, von nun an. Ja, der Geist spricht, daß sie ruhen von ihrer Arbeit; denn ihre Werke folgen ihnen nach.“ Zum Schluß gab die draußen aufgestellte Ehrenkompagnie drei Salven ab.

Die Zahl derer, denen es vergönnt war, dem Eisernen Kanzler das letzte Ehrengeleit zu geben, war nur klein, aber Millionen treugesinnter Deutscher haben an diesem Tage in inniger Verehrung des großen Toten gedacht und Millionen werden in Zukunft hinpilgern zu jener Stätte, wo unter den Wipfeln des Sachsenwaldes der Gründer des neuen Deutschen Reiches zum ewigen Schlummer gebettet ist.


Schreibtafel für Erblindete. Die Fälle, daß in späteren Lebensjahren durch Krankheit oder Unglücksfälle das Augenlicht verloren geht, sind nicht selten. Um solchen Unglücklichen die Möglichkeit zu verschaffen, ihre Korrespondenz nach wie vor selbst zu führen, hat man verschiedene, sinnreiche Apparate ausgedacht, die aber meist für die Praxis zu kompliziert oder zu teuer sind. Einen ganz neuen, leicht zu erlernenden haltbaren Apparat hat jetzt Richard Hamann zu Berlin, Stephanstraße 6 wohnhaft, konstruiert, der selbst im besten Mannesalter erblindet ist. Der Apparat besteht aus einer schwarz polierten, rechteckigen Weichholzplatte, an welche sich oben mit zwei Messingscharnieren eine 15linige Zinkplatte anlehnt, die gewissermaßen den Linienbogen für den Nlchtsehenden bildet. An dem linken Rande der Zinkplatte befindet sich außerdem eine Zeigervorrichtung, die dem Betreffenden ferner ganz genau die Zeile oder Stelle anzeigt, an welcher er infolge einer etwaigen Abhaltung beim Schreiben stehengeblieben ist. Zum Schreiben bedient man sich eines unliniierten Briefbogens, welcher auf die als Schreibunterlage dienende Holzplatte gelegt resp. eingeschaltet wird, und eines Tintenkopierstiftes, zu dessen Aufbewahrung sich an der Tafel noch eine Lederhülse befindet.


Sicilianisches Gefährt. (Zu dem Bilde S. 197.) In dem eigenartig bemalten Karren unseres Bildes bringen wir eine Eigentümlichkeit Siciliens, die man sonst nirgends findet. Es handelt sich nicht etwa um ein ausnahmsweise ausgeschmücktes Gefährt, sondern die zweirädrigen Lastkarren sind in Sicilien sämtlich derartig mit bunten Malereien verziert.

Der einachsige Karren ist eigentlich das einzige Beförderungsmittel in den meisten Gegenden Siciliens, die nicht von der Bahn berührt werden oder wegen starken Fremdenverkehrs auch außerhalb der großen Städte einen oder den andern vierrädrigen Mietswagen besitzen. Der bunte Karren dient aber nur als Lastwagen, Personen reisen auf dem Esel oder Maultier reitend. So arm die Bevölkerung Siciliens in vielen Gegenden der Insel auch ist, auf die Ausschmückung ihrer Fahrzeuge und Lasttiere hält sie viel.

Die Bauart der Karren ist auf der ganzen Insel fast die gleiche. Auf der Achse zwischen den beiden Rädern sitzt vermittels eines ziemlich hohen, oft reich geschnitzten Aufbaues ein rechteckiger Kasten, dessen Seitenwände aus abnehmbaren bemalten Brettern bestehen. Häufig ist auch das Brett an der Rückwand des Karrens in gleicher Weise geschmückt.

Das Merkwürdige an den sicilianischen Karren ist, daß diese Bemalung nicht etwa eine gewöhnliche dekorative in Gestalt von Blumen, Arabesken etc. ist, sondern Darstellungen ganzer Scenen, namentlich aus der biblischen Geschichte, bietet. Fast ausnahmslos zeigt jeder Karren vier Bilder an den Seitenwänden, deren jede in zwei Hälften geteilt ist. Die vier Darstellungen behandeln dann meist denselben Gegenstand. So zeigt der Karren unseres Bildes – wie durch Unterschrift bemerkt – die Geschichte der Esther. Uebrigens finden sich mitunter auch profane Darstellungen, Ritterschlachten etc. In künstlerischer Beziehung stehen die Darstellungen natürlich auf keiner hohen Stufe. Auch bleicht die sicilianische Sonne und Sciroccostaub die Farben bald, mit denen bei der Anfertigung der Bilder nicht gespart wird und deren Zusammenstellung häufig nicht sehr harmonisch ist.

Die Bemalungen zeigen übrigens niemals moderne Sujets. Die Darstellungen aus der biblischen Geschichte sind dadurch ausgezeichnet, daß die Personen auf ihnen stets in orientalischer oder arabischer Tracht erscheinen. Wie in so vielen Dingen in Sicilien, selbst in manchen Dialekten der Insel, haben wir hier auch wohl eine Reminiscenz an die ehemalige arabische Herrschaft. Außer den Hauptbildern zeigen die sicilianischen Karren noch eine ganze Menge von ornamentalen Verzierungen, die sich bei reich geschmückten Karren selbst bis auf die Deichsel und die Speichen der Räder erstrecken. Der Radkranz ist stets bemalt oder geschnitzt. Unser Bild zeigt einen etwas einfacheren Karren, bei dem Deichsel und Radspeichen glatt sind.

Große Sorgfalt wird ebenfalls auf die Ausschmückung der Lasttiere verwandt. Das weiße Maultier vor dem Karren unseres Bildes hat Sonntagsstaat angelegt, und die hohen Aufbauten von roter Wolle und Hahnenfedern werden wochentags heruntergenommen. Dem Lasttier ist der Wochentag sicher lieber, denn der Feiertagsputz ist nicht gerade bequem, der Lenker, ein echter sicilianischer „Ragazzo“, aber ist desto stolzer auf seinen Mulo.Dr. J. S.     

Frühlingsmelodien.
Nach einer Originalzeichnung von F. Reiß.


Orchesterprobe. (Zu dem Bilde S. 225.) Wollte man einen großen Musiker viele und schwere Sünden abbüßen lassen, so müßte man ihn an die Stelle des rundlichen Herrn auf unserm Bilde stellen, dem die entsetzliche Aufgabe zufiel, ein Dutzend Musiklehrlinge zum Orchesterzusammenspiel abzurichten. Verwöhnt ist er nicht, denn das Schicksal hat ihn tüchtig herumgestoßen, bis er hier an der kleinen „Schmiere“ ein Unterkommen fand, und „Nerven“, wie seine berühmten Kollegen, hat er auch nicht. Aber dennoch wird ihm manchmal schwül bei den Schauertönen, welche diese jungen Ungeheuer ihren Instrumenten entlocken, bei den überzähligen Taktteilen und den herumhinkenden Einsätzen, die auf eigene Faust da und dort den Anschluß suchen, uneingedenk des Taktstockes und des Meisters, der ihn energisch, aber fruchtlos schwingt! – Gut, daß wir nur das Bild zu betrachten haben und nicht zugleich hören müssen, was den schwierigen Blick des Vielgeprüften veranlaßt und die kurzen Haare auf seinem Haupte sichtlich in die Höhe sträubt. Bn.     

Kraftleistungen einzelner Insekten. Ueber die Kräfte einzelner Insekten hat ein amerikanischer Gelehrter interessante Untersuchungen angestellt, aus denen hervorgeht, daß sie im Verhältnis viel größer sind als die unseren, ja selbst als die unserer großen Raubtiere.

Von letzteren wissen wir, daß ein Löwe oder Tiger zum Beispiel imstande ist, mit einem Rinde im Rachen einen mannshohen Zaun zu überspringen, und das will etwas heißen. Was will das aber sagen dagegen, daß ein Hirschkäfer von 51/2 cm Länge und einem Gewicht von noch nicht 2 g ein Gewicht von 84 g, also mehr als das Vierzigfache seines Eigengewichts, mehrere Centimeter weit zu ziehen imstande war? Hierbei hat das Tier Muskelkräfte entwickelt, welche den unseren mehr als zehnfach überlegen sind.


Geheimmittel. Die nachstehend verzeichneten Mittel werden teils wegen ihrer Wirkungslosigkeit, teils wegen der schwindelhaften Art ihrer Anpreisung und ihres Vertriebs gemäß einer württembergischen Ministerialverfügung vom 26. Juli 1898 dem Verbot der öffentlichen Ankündigung ohne Rücksicht darauf unterstellt, ob ihre Zusammensetzung bekannt gegeben ist oder nicht: „Antirheumatischer und antiarthritischer Blutreinigungsthee“ von Franz Wilhelm, Apotheker in Neunkirchen, Niederösterreich, „Bandwurmmittel“ von Th. Konetzky in Säckingen, Baden, „Bruchheilmittel“ von Joh. Wöhrle in Langenargen, „Dentila“ von Geo Dötzer in Frankfurt a. M., „Glandulen“ von Dr. Hofmann Nachfolger in Meerane i. S., „Hämaton“ von Apotheker Haitzema in Amsterdam, „Herba polygonum (Knöterich)“ von Emil Gördel in Kolberg, „Kräuterthee, Russischer Knöterich (Polygonum avic.)“ von Ernst Weidemann in Liebenburg a. Harz, „Dr. R. Schiffmanns Asthma-Pulver“ vermittelt von G. L. Daube u. Cie. in Berlin, „M. Schützes Universalheilsalbe“ und „M. Schützes Blutreinigungspulver“ von Eduard Wildt in Köstritz, Reuß, „Volta-Kreuz, Elektro-Volta-Kreuz, Volta-Stern“, „Warners safe cure“.


Kleiner Briefkasten.

(Anfragen obne vollständige Angabe von Namen und Wohnung werden nicht berücksichtigt.)

R. W. in Düsseldorf. Als ein sehr praktisches Buch nennen wir Ihnen das in 6. Auflage erschienene Werk von A. Dreger „Die Berufswahl im Staatsdienste“ (Dresden und Leipzig, C. A. Koch’s Verlagsbuchhandlung), in welchem Sie genaue Auskunft über Anstellung und Beförderung in sämtlichen Zweigen des Reichs- und Staats-, des Militär- und Marinedienstes finden.

A. W. Salzburg. Die Artikel „Von der hansischen Flanderfahrt“ von Karl Braun-Wiesbaden, mit Illustrationen von H. Schlittgen, sind im Jahrgang 1884 der „Gartenlaube“ erschienen.

Alter Abonnent in Chicago. Sie meinen, „Dichten“ hänge mit „dicht“ zusammen, so daß unter dem Dichter einer zu verstehen wäre, welcher Vorstellungen dicht macht, verdichtet; das ist ein Irrtum. Nach dem vortrefflichen „Etymologischen Wörterbuch der deutschen Sprache“ von Professor Fr. Kluge hieß dichten im Mittelhochdeutschen tihten und hatte dort die Bedeutung von „schreiben, schriftlich abfassen“, wie auch von „dichten, erfinden, ersinnen“. Die neuhochdeutsche Bedeutung ist sehr specialisiert gegenüber der Fülle der Bedeutungen im Mittelhochdeutschen. Kluge schreibt darüber: Noch im 16. und 17. Jahrhundert hatte Dichter (mhd. tihtaere) die allgemeine Bedeutung „Verfasser, Autor“ und bezeichnete den Prosaiker wie den Poeten. Der Ursprung von dichten (althochdeutsch: tihtón, schreiben, verfassen) aus dem lateinischen dictare, „zum Nachschreiben diktieren“, spätlateinisch auch „verfassen“, kann die Aenderung von tichten in dichten begünstigt haben. – „Dicht“ hatte schon im Mittelhochdeutschen ein d am Anfang (dihte). Von Kluges Etymologischem Wörterbuch, das wir Ihnen für ähnliche Feststellungen bestens empfehlen, ist soeben die 6. verbesserte und vermehrte Auflage erschienen (Straßburg, Karl J. Trübner).


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0228.jpg&oldid=- (Version vom 30.8.2020)