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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

nicht die Kinder schon angeleitet würden zur praktischen Arbeit im Schulgarten. Von den österreichischen Ländern ist besonders Steiermark das klassische Land der Schulgärten. Auch für Deutschland müßte es heißen: „Jede Schule muß einen Schulgarten haben“, denn nur im Schulgarten ist ein wirklich fruchtbringender Naturgeschichtsunterricht möglich; er erzieht die Kinder zu liebevollen Naturfreunden, weckt Arbeitslust und einen gesunden Schönheitssinn und kräftigt ihren Körper.

Deutschlands merkwürdige Bäume: der Weißdorn zu Soest.
Nach einer photographischen Aufnahme von Otto Hoff in Soest.

Deutschlands merkwürdige Bäume: der Weißdorn zu Soest. (Mit Abbildung.) Im Garten der Gesellschaft „Ressource“ zu Soest steht ein Weißdorn, von dem die Sage berichtet, daß an seinen Stamm schon Karl der Große seinen Wanderstab gelehnt habe. Der Grund und Boden des Gartens war früher der Kirchhof der 1823 abgebrochenen St. Georgskirche, an deren Chor der Dorn Halt fand. Schon im 15. Jahrhundert wurden unter seinen Zweigen milde Gaben gespendet. Bedarf auch der Baum gegenwärtig der Stütze, so schmückt er sich dennoch von Jahr zu Jahr mit frischen Blüten, ein würdiges Gegenstück zu dem berühmten Hildesheimer Rosenstock, mit dem er sich an Alter wohl messen kann.

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Das kurfürstliche Schloß in Mainz.
Nach einer Photographie von C. Hertel in Mainz.

Das kurfürstliche Schloß in Mainz. (Mit Abbildung.) Am Schloßthore zu Mainz, über den Fluten des Rheins, erhebt sich der denkwürdige Bau des kurfürstlichen Schlosses, in dem einst die Kurfürsten und Erzbischöfe von Mainz, des Reiches Erzkanzler, residierten. Im Jahre 1627 wurde von dem Kurfürsten Georg Friedrich von Greifenklau der Grundstein gelegt, aber erst im Jahre 1752 konnte der Bau vollendet werden. Er ist das Endglied einer Kette herrlicher Renaissancebauten der Straßburger Schule, zu denen auch der Friedrichsbau in Heidelberg gehört. Im Laufe der Zeiten hat das zumeist aus Sandsteinquadern aufgeführte Schloß vielfach gelitten. Die Franzosen, die von 1797 bis 1813 über Mainz herrschten, benutzten es als Kaserne und Lagerhaus. Erst im Jahre 1842 ward es einer würdigeren Bestimmung zugeführt. In seinen Räumen wurde das Römisch-germanische Zentralmuseum mit seinen weltberühmten Sammlungen untergebracht, außerdem die ansehnliche Stadtbibliothek, die Städtische Gemäldegalerie und das Naturhistorische Museum. Neuerdings ward beschlossen, das Schloß zu restaurieren. Man wird dafür 1200000 Mark aufwenden.


An Hofe des Tiberius. (Zu dem Bilde S. 136 und 137.) Die einfachen und strengen Sitten, durch welche sich das römische Volk zur Blütezeit der alten Republik auszeichnete, waren unter der Herrschaft der Kaiser gelockert. Die alte heidnische Kulturwelt ging in einem Sinnestaumel zu Grunde. Erzeugnisse der weiten Provinzen wurden nach Rom gebracht, um dort den Siegern die ausgesuchtesten Genüsse zu bereiten. Asien sandte seine Gaukler und kostbare Gewürze, Afrika die wilden Tiere und die dunklen Sklaven; denn mit Vorliebe belustigte man sich im Cirkus mit Schaustellungen aller Art. Alles übertraf aber der Prunk, mit dem die Kaiser sich umgaben. Unser Bild zeigt uns den Kaiser Tiberius, der vom Jahre 14 bis zum Jahre 37 n. Chr. regierte, wie er in seinem Palaste auf Capri sich zerstreut. Der greise Cäsar sitzt in heiterer Gesellschaft und sieht einer Tänzerin zu, welche in graziösen Stellungen auf der rollenden Kugel die Sicherheit ihrer Kunst zeigt. Ein auf der Harfe spielender Sklave begleitet den Tanz, und auch die wilden Tiere aus den fremden Zonen des Weltreichs, von einem Wächter an der Kette geführt, lauschen dem orpheischen Saitenspiel. Unter dem „säulengetragenen herrlichen Dach“ befinden sich mehrere Bildwerke, darunter ein von einem Amor belästigter Centaur, und die Marmortreppe herab schreiten ein Staatsmann und ein Priester, welche mit ernsten Staatsgeschäften die Cirkel des schwelgerischen Tyrannen zu stören drohen. Die Künstlertruppe wird zurücktreten, die ausgelassenen Hofdamen werden davonhuschen und mit finsterer Stirn wird der Kaiser dem Bericht seiner Getreuen lauschen. Und dann wird vielleicht ein Bote nach Rom eilen mit einem jener Blutbefehle, durch welche die Welt des Tiberius so oft mit Entsetzen erfüllt ward.


Altdeutscher Hochzeitszug. (Zu dem Bilde S. 145.) Sitten und Gebräuche wechseln mit der Zeit, und so hat auch der Akt der Eheschließung im Laufe der Geschichte verschiedene Wandlungen durchgemacht. Der heidnische Germane raubte in ältester Zeit seine Braut, später kaufte er sie von ihren Eltern. Weltlichen Charakter behielt die Eheschließung auch in den ersten Jahrhunderten nach der Einführung des Christentums; erst am Tage nach der Hochzeit begaben sich die Neuvermählten in die Kirche, um sich dort von den Geistlichen einsegnen zu lassen. Später, vom 13. Jahrhundert an, wurde der Grundsatz aufgestellt, daß die Frau dem Manne von dem Priester übergeben werde, und so erfolgten die kirchlichen Trauungen zunächst vor der Kirchenthür und dann im Gotteshause selbst. In diese Zeit, am Ausgang des Mittelalters, versetzt uns das stimmungsvolle Bild Brunners. Die Neuvermählten, ritterlicher Abkunft, verlassen die Kirche, die junge Frau trägt die Brautkrone, während die Brautjungfern ihr Haupt mit Kränzen geschmückt haben. Die Spielleute empfangen das junge Paar mit einem Tusch, und bald wird sich der Zug ordnen und nach der nahen Burg sich wenden. Schon damals war die Sitte allgemein, daß bei der Hochzeit die Gäste den Neuvermählten wertvolle Geschenke überreichten. So sehen wir auch auf unserem Bilde einen mit allerlei Geschenken, Truhen und Geräten, hochbeladenen Wagen, der sich dem Hochzeitszuge anschließen wird. In jener lebensfrohen Zeit suchte jeder nach seinem Vermögen die Hochzeit möglichst glänzend zu gestalten, und der Luxus wurde so weit getrieben, daß die Behörden sich veranlaßt sahen, ihn durch Erlaß von Hochzeitsordnungen zu beschränken.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0163.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)