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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)


auch durchgehends aus festlich und nachsichtig gestimmten Verwandten und Freunden, so wäre ein Umwerfen doch für den beiderseitigen Künstlerstolz recht fatal gewesen! .. Nun, davon kann keine Rede mehr sein; die muntere Schar der kleinen und großen Musiker hat ihre Sache wirklich gut gemacht; in rauschenden Klängen naht sich die Symphonie ihrem Ende und zum Schluß trillert, flötet, klingelt, schmettert und geigt alles im vollen Chor zusammen, bis der mächtige Schlußaccord erklingt und mit ihm zugleich ein allgemein ausbrechendes donnerndes Bravo die jugendlichen Künstler belohnt. Bn.     

Der Seealpsee im Säntisgebirge. (Mit Abbildung.) Inmitten der Riesen des Alpsteingebirges, das der Sprachgebrauch nach seiner höchstm Erhebung, dem Säntis, benennt, ist der kleine grüne Seealpsee gelegen, der von den Abflüssen des ewigen Schnees am Säntis gespeist wird. Ihm selbst entströmt die muntere krystallklare Sitter, die von hier, an Appenzell und St. Gallen vorbei, dem Bodensee zufließt. in dessen Nähe sie sich mit der Thur vereinigt. Von welcher Seite der aus Appenzell kommende Tourist den Säntis besteigt, ob über das Wildkirchli und die Ebenalp zur Rechten, oder über die Meglisalp zur Linken des Sees, immer wieder wird sein Blick aufs neue durch die Biegungen des Wegs zum Hinunterschauen auf den blauleuchtenden Wasserspiegel gemahnt, der tief unterhalb der steilen Felswände ruht. Nur wenige Fischerhütten liegen auf seinen waldumkränzten Ufern verstreut. Die Ruhe des abgrundtiefen Gewässers, seine einsame entlegene Lage inmitten der gewaltigen Hochlandsnatur geben einer Fahrt über seine Flut einen poetisch ergreifenden Zauber. Dieser Poesie konnte sich auch der Dichter des „Ekkehard“, Joseph Viktor Scheffel, nicht entziehen, als er sich im Jahre 1854 droben beim Aescherwirt auf der schwindelnden Höhe des Wildkirchli einnistete, um die letzten Kapitel seines Romans, die in dieser Gegend spielen sollten, zu schreiben. Den vielen Lesern der ergreifenden Erzählung, die das frühere Leben im Kloster St. Gallen und die schöne Alpennatur des Appenzeller Landes so farbenfrisch schildert, wird die Scene erinnerlich sein, in welcher der von Liebesqual gepeinigte Ekkehard zu nächtlicher Stunde vom Wildkirchli zum Gestade des Sees hinabeilt. Als könne dessen reine Flut ihm die Erinnerung an Frau Hadwig aus Herz und Hirn spülen, taucht er in das Wasser des Bergsees – „wohlthätig kühlend drang ihm dessen Frische durch Mark und Bein“. Die dort geschilderte Scenerie zeigt unser Bild: die spitzaufgipfelnde Bergwand in der Mitte ist die Roßmad, links und rechts davon sieht man im Hintergrund Altmann und Säntis. Jetzt führt ein gepflegter Pfad vom Wildkirchli hinunter zum See, und von dem beliebten Molken- und Luftkurort Weißbad, an welchem die Sitter so lustig vorbeischäumt, ist der zweistündige Weg zum forellenreichen See ein bequemer Spaziergang, an dessen mannigfachen Reizen sich die Sommergäste dankbar erfreuen.

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Der Seealpsee.
Nach einer photographischen Aufnahme von C. Steiger-Stadelmann in Lachen bei St. Gallen.

Zu unserer Kunstbeilage und den Bildern S. 169 und 172. Unruhige Märztage sind es. Der Sturm braust und dunkle Wolken jagen am Himmelszelt; Schnee und Regen wechseln ab und bald strahlt die Sonne auf eine blendend weiße Winterlandschaft, bald spiegeln sich ihre Strahlen in Millionen von Wasserperlen der triefenden Wälder und verregneten Auen. Das ist die unbeständige wechselvolle Zeit, in welcher der Frühling auf den Schwingen des Westwindes herbeieilt und in hartem Kampfe den grimmen Winter verdrängt. Allmählich siegt er. Wer an solchen Tagen, wenn in dem stürmischen Ringen der Elemente eine Pause eingetreten ist, hinauswandert in die freie Natur, in den stillen schwarzen Wald, den umfängt der Zauber des ersten Frühlingserwachens.

Im Westen ist die Sonne gesunken und die Wolkenschichten über dem dunklen Hochwald glühen in den Purpurtönen der Abenddämmerung; in dem Jungwald sind die weißen Birkenstämme mit rosigem Hauch übergossen, tiefer im Dorngebüsch glänzen die schwellenden Knospen und von der hohen Krone der finstern Fichte schallen die letzten Strophen des Abendliedes, das eine Drossel zum Himmel emporsendet. Dann wird es still im Walde. Doch horch! „Flapp, flapp!“ rauscht es in den Lüften und „Bist, bist! Psit, psit“ schallt es von der Höhe nieder. Da schweben wie Schatten an dem matt erleuchteten Himmel zwei balzende Waldschnepfen, die auf einander „stechen“, während tief im Gebüsch das versteckte Weibchen mit zwitschernden und pfeifenden Tönen die beiden Gegner zu weiterem Liebesstreite anspornt. Heute richtet sich kein Jagdgewehr gegen die eifernden Nachtvögel; kein Hund verscheucht den langsam durch das Gebüsch streichenden Rehbock. Ungestört dauert das Liebeswerben zwischen Bäumen und Zweigen, bis der Ruf des Käuzchens den ersten Tag des Vorfrühlings beschließt.

Am andern Morgen ist der warme Lenzeshauch, der die Natur belebt hat, vielleicht wieder dem eisigen Nordwind gewichen, aber immer kürzer und immer schwächer werden die Vorstöße des Winters. Lauer und wärmer werden die Lüfte, heiterer und sonniger lacht der Himmel nieder, und in der Erde regen sich tausend Keime; frisches Grün sprießt empor, die ersten Blumen schmücken die Flur und Baum und Busch prangt in schneeigem oder rosigem Blütengewande. Wenn über eine solche Frühlingslandschaft von Kapellen und Kirchtürmen der Klang der Osterglocken dahinschwebt, dann gehen den Menschen die Herzen auf, dann feiern sie doppelt fröhlich das große Fest der Auferstehung.

Lenzeswehen und Osterstimmung werden trefflich durch unsere Bilder „Vorfrühling“ und „Osterläuten“ wiedergegeben. Ob auch zu ihnen das farbige Bild „In Erwartung“ paßt? Wir glauben es wohl. Ostern ist ja auch eine Reisezeit. Der Strom der Reisenden wendet sich aber in diesen Festtagen nicht dem Gebirge oder dem Seegestade zu. Ostern ist die Zeit, in welcher man Verwandte und Freunde aufsucht. Wie viele, die durch den Lebensberuf von ihrer Heimat getrennt worden sind, benutzen nicht die Feiertage, um ihre Lieben wieder aufzusuchen? Fragt nur die Eisenbahnbeamten, und sie werden euch sagen, wie gewaltig die Schar der Urlauber vom Heere und von der Bureaustube ist, die gerade zu Ostern das Dampfroß in Anspruch nimmt. An diesem Festtage drückt so manche Mutter ihren Sohn wieder an ihr Herz, und wer weiß es, ob das schmucke Bauernmädchen auf unserm Bilde nicht gerade am Ostermorgen auf die Straße blickt „in Erwartung“, daß ihr Schatz just an der Ecke auftauchen muß? So wird es gewiß kommen und dann wird sie ihm entgegeneilen und unter blühendem Baum werden sie sich in die Arme fallen, vergessen wird der Winter der langen Trennung sein und Frühling in ihren Herzen blühen!


Im Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung Nachfolger in Stuttgart ist soeben erschienen:

Martha’s Briefe an Maria.
Ein Beitrag zur Frauenbewegung, mit einem Vor- und Nachwort herausgegeben von
Paul Heyse.
Preis geheftet 1 Mark. Elegant gebunden 2 Mark.
Der Ertrag ist für das in München zu gründende Mädchengymnasium bestimmt.

Vielfach ist der Wunsch ausgesprochen worden, von „Martha’s Briefen an Maria“, die zuerst im Jahrgang 1897 der „Gartenlaube“ veröffentlicht wurden, auch eine Buchausgabe zu veranstalten. Indem wir diesem Wunsche entsprechen, gereicht es uns zur besonderen Befriedigung, einem hochinteressanten Beitrage Paul Heyses zur Lösung der Frage von der Frauenbildung, der in die anmutige Form der Novelle gekleidet ist, nun auch noch weitere Verbreitung als Buch schaffen zu können.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0196.jpg&oldid=- (Version vom 23.4.2024)