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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Ein Besuch bei Heinrich Heine.

Von Rudolf v. Gottschall.

Die Zahl derjenigen, welche den Dichter des „Buchs der Lieder“ von Angesicht gesehen und ihn in seiner Matratzengruft in Paris besucht haben, schmilzt immer mehr zusammen; die beiden Deutschen, welche den intimsten Verkehr mit Heine in dem letzten Jahrzehnt seines Lebens unterhielten und auf Grund desselben eingehend berichten konnten, Heinrich Laube und Alfred Meißner, sind nun auch schon vor Jahren dahingeschieden. Es wird daher nicht unwillkommen sein, wenn ich jetzt, da der hundertste Geburtstag des Dichters vielfach gefeiert wird,[1] aus meinen Lebenserinnerungen das Blatt hervorhole, auf welchem ein Besuch bei Heinrich Heine verzeichnet steht.

Es war im Herbst 1851, als ich mich von Hamburg aus zu einer Reise nach Paris rüstete.

Der Buchhändler Julius Campe in Hamburg, den Heine „aller Verleger Blüte“ genannt hat, war auch mein Verleger geworden, und ich übernahm es gern, Aufträge von ihm an den kranken Dichter in Paris zu bestellen. Campe war kein Enthusiast, aber für Heine besaß er so viel Schwärmerei, wie nur irgend ein deutscher Verleger für den Verfasser gutgehender Schriften besitzen kann. Er zahlte ihm auch eine Lebensrente für das Recht, später seine gesammelten Werke herauszugeben. Kam ein neues Manuskript von Heine an, so war dies ein Ereignis. Campes Laden in der Schauenburger Straße, dessen hohe, tief herabgehende Fenster jedem gestatteten, das Bild des dahinter arbeitenden Verlegers in Lebensgröße in sich aufzunehmen und das ganze Treiben in dieser Werkstatt des Buchhandels zu übersehen, wurde zwar nicht illuminiert, aber wenigstens das Gesicht des Eigentümers erleuchtete, ja verklärte sich, und nachdem er selbst die Lektüre der neuen Sendung genossen hatte, sorgte er gleich im Laden für ein begeistertes Publikum, das seine Verzückung teilte und seine Erwartung eines glänzenden Erfolgs von Hause aus verbürgte. Zwei junge Hamburger Advokaten pflegten ihm abwechselnd die neuen Gedichte vorzulesen. Da stand er, die unvermeidliche Schnupftabaksdose in der Hand, über das volle gerötete Gesicht schwebte ein behagliches oder verschmitztes Lächeln, wenn ein Gedankenblitz des Dichters bei ihm oder seinen Vorlesern einschlug.

Julius Campe war damals der berühmteste deutsche Buchhändler oder auch der berüchtigste; denn er war der „verbotenste“; nicht nur einzelne seiner Verlagsartikel, einmal wurde sogar sein ganzer Verlag verboten, was Heine zu dem lustigen Vers veranlaßte:

„Es blüht der Lenz, es platzen die Schoten,
Wir atmen frei in der freien Natur,
Und wird uns der ganze Verlag verboten,
So schwindet am Ende von selbst die Censur.

Campe war ein Hort des deutschen Liberalismus; namentlich aber suchten die Censurflüchtlinge aus Oesterreich bei ihm eine Zuflucht, und er wußte sie wieder auf verbotenen Wegen durch die schwarzgelben Grenzpfähle hindurchzuschmuggeln, nachdem sich das eine flüchtige Manuskript in viele hundert heimkehrende Bände verwandelt hatte.

Wer sich aber unter diesem staatsgefährlichen Mann einen feueräugigen und langhaarigen Demagogen dachte, der mußte seines Irrtums schmerzlich gewahr werden, wenn er den behaglichen alten Herrn mit dem Quäkerhut über den Hamburger Jungfernstieg wandern sah. Ja, der thatkräftige Gegner der patriarchalischen Regierungen hatte als Buchhändler selbst etwas Patriarchalisches; er liebte seinen Schriftstellern gegenüber weder Abmachungen noch Abrechnungen; er war kein Freund der Kontrakte, welche seine persönliche Freiheit beschränkten. Dafür war er sehr freigebig mit Vorschüssen und sorgte für die jungen geistigen Kämpfer, die unter seinen Fahnen ins Feld rückten. Und dem verhaßten Metternich zum Trotz war er selbst ein guter Diplomat: er verstand in seltener Weise die Kunst, nie bei der Stange zu bleiben und das Gespräch abzulenken, wenn etwas berührt wurde, worüber er nicht Lust hatte sich auszusprechen; sachte und unmerklich glitt er hinüber zu irgend einer lustigen Anekdote und bot dem Zuhörer eine Prise an, um dessen Aufmerksamkeit abzulenken. Ueberhaupt war sein Laden ein Gesprächssalon, eine Art bureau d’esprit, wo die geistreichen Leute Hamburgs zusammenkamen und ihre Witzraketen steigen ließen. Es ging da oft recht laut und lustig zu – aber feierliche Stille mußte herrschen, wenn die Post mit den Bestellzetteln kam. Dann trat Campe an sein Pult und vertiefte sich in das Studium seiner buchhändlerischen Erfolge, denn er war ein guter Geschäftsmann, obgleich er später lieber in Austernbänken als in Litteratur spekulierte.

Damals, einige Zeit vor meiner Abreise nach Paris, war das Manuskript von Heines „Romanzero“ eingegangen, und nachdem der „Weiße Elefant“ und „Die Königin Pomare“ bei den jungen Advokaten und den andern Besuchern des Campeschen Ladens den gebührenden Beifall gefunden, war es gedruckt worden und zierlich geheftet. Ich übernahm den Auftrag, die ersten fertigen Exemplare dem Dichter in Paris persönlich zu überreichen. Rasch hatte ich eine Kritik über den „Romanzero“ in einem der gelesenen Hamburger Blätter erscheinen lassen, und auch diese Taufrede über das junge Kind nahm ich mit nach der Seinestadt. Mein Begleiter war der frühere Hamburger Operndirektor Cornet, ein Heine-Enthusiast, der aus dem Waggonfenster hinaus die neuen Gedichte in die eintönigen Hannoverschen Lande hinausdeklamierte.

In Paris angekommen, suchte ich mich zuerst häuslich einzurichten. Es waren trübe Novembertage und die alte Lutetia machte dem Namen der „Schmutzstadt“ alle Ehre. Ich bemerkte zu meinem Bedauern, daß die Leute hier ein anderes Französisch sprachen als dasjenige, welches ich zehn Jahre lang gelernt hatte, und ich bestrebte mich, mein Ohr an diese fremdartigen Laute zu gewöhnen.

Kaum hatte ich ein Unterkommen gefunden, so machte ich mich auf den Weg nach der Rue d’Amsterdam, und nachdem ich die Hausnummer entdeckt hatte, schritt ich über den Hof und stieg die Treppe des Seitengebäudes hinauf, in dessen zweitem Stockwerk der Dichter wohnte. Unter meinem Arm trug ich die Exemplare des „Romanzero“ – ich wußte, daß der Name Campe mir die meist verschlossene Pforte öffnen würde.

Mir war eigen zu Mute. Die Begeisterung für Heine reichte weit in meine Jugend zurück. Seine Lieder hatten sich schon früh meinem Gedächtnis eingeprägt. Als Primaner eines ostpreußischen Gymnasiums hatte ich mit einem Freunde, dem Sohn eines benachbarten Gutsherrn, in dessen Schloßpark unter Lachthränen die „Harzreise“ gelesen, und später hatte manche Schöne der Haupt- und Residenzstadt am Pregel seine Lieder am Klavier gesungen und mir damit das Herz gerührt. Und nun sollte ich den Dichter selbst von Angesicht sehen, aber nicht wie er einst durch die Straßen geschlendert war – die Hände in den Hosentaschen, im Uebermut seiner unverwüstlichen Laune, sondern krank, elend, gelähmt.

Man ließ mich ein. Mathilde, seine Frau, war nicht anwesend. Ich habe sie auch bei meinen späteren Besuchen nie gesehen. Sie liebte die Deutschen nicht.

Es war ein enges Zimmer, in das ich eintrat. Zwischen dem Fenster und einer spanischen Wand schritt ich hindurch, hinter der letzteren lag der Dichter. Um den Ankömmling zu sehen, mußte er mit der Hand die Augenlider in die Höhe heben, die sich über das Auge herabgesenkt hatten – auch sein geistiges Kind, das er jetzt in Händen hielt, den „Romanzero“, konnte er nur so betrachten. Wenn so ein Büchlein sich wohlgerüstet zur Reise in die Welt darstellt, so macht es immer dem Verfasser eine große Freude. Auch Heine wiegte mit einer gewissen Zärtlichkeit sein neues Musenkind in der Hand und dankte dem Ueberbringer.

Ich konnte in dem Halbdunkel kaum seine Züge erkennen, nur das sah ich: es war ein Häufchen Elend, das da vor

  1. Die biographische Forschung hat freilich nachgewiesen, daß die weitverbreitete Annahme, Heine sei am 13. Dezember 1797 geboren, auf einem vom Dichter selbst begangenen Irrtum beruht und thatsächlich der 13. Dezember 1799 als Heines Geburtstag zu gelten hat. Doch wird von vielen noch an der älteren Angabe, so auch in den meisten Nachschlagewerken, festgehalten. D. Red. 
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 847. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_847.jpg&oldid=- (Version vom 9.7.2023)