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nur, seinen Zacken und Kanten auszuweichen. Eine Verteidigung ihrer selbst war unter allen Umständen zwecklos. Er fühlte sich stets im Recht, und in diesem Recht gröblich verletzt. Die Möglichkeit, daß er Fehler begehen könne, war ausgeschlossen. Also Geduld, Geduld und immer Geduld, war die Lösung. Schweigen oder Ablenkung die einzige richtige Antwort auf seine Angriffe.

Da sie in der wichtigsten ihrer Lebensfragen zweierlei Meinung waren, da sie seine Leidenschaft nicht erwiderte, konnte nie und nimmer Frieden zwischen ihnen herrschen, nur Waffenstillstand, den nach Thunlichkeit zu verlängern das Bestreben des Besonneneren von ihnen beiden sein mußte, also das ihre! Alle Gegensätze, durch Geburt ererbt, durch Erziehung und Lebensweise herangebildet, hätten sich ausgleichen lassen, wenn sie sich in dem einen entscheidenden Punkte begegnet wären. Nun wurde gerade er zur Ursache alles Elends. Aus dem Ingrimm darüber, daß die Leidenschaft zu der Frau, deren zarte Schönheit seine robuste Natur entflammte, unerwidert blieb, entsprang die trübe Quelle seines Hasses gegen alles an ihr, was seiner Eigenart zuwiderlief. Ein heiteres, durch keine Mißklänge gestörtes Liebesleben würde, was ihm an sympathischen Eigenschaften verliehen war, zum frohen Wachstum gebracht haben. In dem dunstigen Schatten aber seines immer wachsenden Mißmuts, seiner Enttäuschung, seiner Erbitterung, seiner Eifersucht zumal auf jedes, was sie außer ihm wohl lieben mochte, trieben alle bösen Knospen Wucherblüten. Hanna wußte dies wohl; sie sah dem Wachsen dieser schlimmen Saat mit Schrecken zu. Aber so ängstlich sie auch bemüht war, seinen vielen kleinen Eigenheiten gerecht zu werden, um des lieben Friedens willen seinen Schrullen nachzugeben, die liebevolle Hingebung, die er von ihr zu fordern ein Recht hatte, blieb sie ihm doch schuldig.

Mit dem Tode der Mutter waren alle guten Geister von ihr gewichen. Die Mahnung der Vielgeliebten an ihr einsames Kind war noch immer kein rechter Talisman geworden. Es schien fast, als sollte sie es überhaupt nie werden, als sei der Tautropfen dieses Himmelsgrußes auf ihren von Leiden fieberheißen Lippen alsbald wieder vertrocknet. Hanna empfand es mit tiefem Kummer und zugleich mit schmerzlicher Scham. Sie hatte ja den redlichsten Willen gehabt, der sanften Stimme zu gehorchen: „Sei gegen deinen Mann immer so, als wenn ich noch da wäre!“ – Das aber war es eben. Gerade das konnte sie nicht. Gerade das Andenken der Mutter hatte er rücksichtslos verletzt, indem er all die armen Erinnerungszeichen aus dem Wege räumte, kaum daß die Tote unter der Erde lag. Und gerade damals hätte er es noch in der Hand gehabt, sie sich zu gewinnen, wenn er mit Sanftmut und Gewährenlassen an ihrem Kummer teilgenommen hätte. Aber was ihr das Herz bewegte – er fragte nicht danach, oder vielmehr, er schwieg es tot, weil es für ihn nicht leben sollte, weil seine Eifersucht sogar schon das Andenken der Toten zu hassen und zu verfolgen begonnen hatte.

(Fortsetzung folgt.)

Eine Weltumseglerin.
Zum hundertsten Geburtstag von Ida Pfeiffer.

Auf dem Centralfriedhof in Wien ruht in einem Ehrengrabe eine der merkwürdigsten und interessantesten Frauen, die Weltumseglerin Ida Pfeiffer. An ihrer Gruft erhebt sich ein prächtiges Denkmal, eine sieben Fuß hohe, aus geschliffenem Granit hergestellte Pyramide, deren Mitte das in weißem Laafer Marmor ausgeführte Bildnis der Weltreisenden zeigt. Darunter ist ein auf stürmischer See dahinfahrendes Segelschiff aus Bronze angebracht, und die Spitze des Denkmals ist symbolisch mit einer Erdkugel, ebenfalls aus Bronze, gekrönt. Ueber der Inschrift, welche einfach und schmucklos lautet: „Ida Pfeiffer geb. Reyer, geboren in Wien am 14. Oktober 1797, gestorben ebenda am 27. Oktober 1857, glänzt ein goldenes Kreuz.

Ida Pfeiffer war eine in ihrer Art einzig dastehende Frau. Ihr Vater, ein schlichter Bürger Namens Reyer, ließ ihr eine gründliche wissenschaftliche, nur ein wenig zu männliche Erziehung zu teil werden. Infolge des Einspruchs ihrer Eltern durfte sie ihrer Herzensneigung nicht folgen und ihren Jugendgeliebten nicht heiraten, vermählte sich aber im Alter von 22 Jahren mit dem um 24 Jahre älteren Lemberger Advokaten Dr. Pfeiffer, dem sie allezeit Treue und Sympathie bewahrte. Fast zwei Jahrzehnte lebte sie als fleißige, brave Frau in stiller häuslicher Weise, bis ihre Kinder aufgewachsen und versorgt waren und ihr Mann das Zeitliche gesegnet hatte. Erst dann hatte sie den Mut, die von der zartesten Jugend her mächtig in ihr lebende, aber nie gestillte Sehnsucht nach fernen Zonen zu befriedigen. Mit den bescheidensten Geldmitteln, auf sich allein angewiesen, ohne Begleitung und von niemand aufgemuntert, großartige und gefahrvolle Reisen zu unternehmen und Länder aufzusuchen, die bisher kein Fuß eines Europäers betreten hatte. In der harten Schule des Lebens, da sie nicht nur für sich und ihre Kinder, sondern auch mitunter für ihren unpraktischen Mann sorgen und schwer arbeiten mußte, hatte ihr Charakter sich gestählt, ihre Energie sich befestigt und sie gelernt, selbständig zu handeln. Als sie, bereits 45 Jahre alt, zum erstenmal auf einer Reise nach Triest, wo sie Verwandte besuchte, das Meer sah, brach es wie Jubel aus ihr hervor und Thränen rollten über ihre Wangen. „Mir war,“ erzählte sie später, „als hätte der Himmel das ganze Meer als Taufwasser über mich ausgegossen, ich glaubte, erst jetzt geboren worden zu sein. Ich begriff den Freudenschrei der Griechen: das Meer! das Meer! als sie es erblickten. Sie dachte, sie träumte fortan nur von den Meeren der Erde, die zu befahren sie sich sehnte, und von der weiten Welt, die sie kennenlernen wollte. Was sie dazu trieb, war aber keineswegs bloß gewöhnliche Reiselust, Ida Pfeiffer war vielmehr vom echten Wissensdurst und dem ernsten Wunsch beseelt und angefeuert, die geographische Wissenschaft zu fördern und unsere Kenntnis von Land und Leuten in dunklen Erdteilen zu bereichern. Am besten charakterisiert sie ein Empfehlungsbrief Alexander von Humboldts vom 8. Juni 1856, den er ihr beim Antritt ihrer letzten Reise nach Madagaskar mitgab, worin es u.a. heißt:

„Diese Frau ist nicht bloß berühmt durch die edle Ausdauer, welche sie inmitten so vieler Gefahren und Entbehrungen zweimal um die Welt geführt hat, sondern vor allem durch die liebenswürdige Einfachheit und Bescheidenheit, die in ihren Werken vorherrscht, durch die Wahrheit und Reinheit ihres Urteils und durch die Unabhängigkeit und zu gleicher Zeit Zartheit ihrer Gefühle. Des Vertrauens und der Freundschaft dieser achtbaren Frau genießend, bewundere ich diese unbezähmbare Energie des Charakters, welche sie überall gezeigt hat, wohin sie gerufen oder, besser gesagt, getrieben wurde durch die unbesiegbare Leidenschaft, die Natur und die Gebräuche der verschiedenen Menschenrassen zu erforschen.“

In Gedanken und Worten einfach, bescheiden und schlicht, gemessen und gelassen in ihrer persönlichen Erscheinung, war sie frei von jeder Sucht, sich vorzudrängen und von sich reden zu machen. Ihre Wahrheitsliebe und ihr strenger Sinn für Recht und Ehrenhaftigkeit verleugneten sich bei ihr nie, weder in ihrem Leben, noch in ihren zahlreichen Schriften, in denen sie die Ergebnisse ihrer Weltreisen in anziehender und volkstümlicher Weise zu schildern wußte. Das prahlerische Wesen so vieler „Weltreisenden“ war ihr in tiefster Seele zuwider, nie erzählte sie etwas, das nicht vollkommen der Wahrheit entsprach, ebenso wie sie nie im Leben etwas versprach, was sie nicht hielt. Ein ausgesprochenes, ja außerordentliches Reisetalent, verstand sie es, in allen Weltteilen, wohin sie auch kam, die Teilnahme der Menschen zu erwecken, und indem sie frei von allen politischen, religiösen und nationalen Vorurteilen war, sah sie alle Dinge so an, wie sie waren, und war ihr Urteil nie getrübt durch die Brille einer vorgefaßten Meinung.

Im März 1842 trat die bereits alternde Frau ihre erste Reise an, indem sie nach Palästina, Syrien und Aegypten wanderte. Die Reiseerlebnisse, welche sie 1844 anonym in zwei Bänden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1897, Seite 682. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_682.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2016)