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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

verdient werden, sei es auf erlaubter Jagd oder auf verbotenen Wegen! Die Strapazen, die in den Bergen mit der Spielhahnjagd verbunden sind, schrecken solch einen wetterharten, federsüchtigen Burschen nicht ab, und im übrigen wird ihm die Sache manchmal gar leicht gemacht, besonders, die sich mit dem Abschuß der Auerhähne begnügen und den schwer zu jagenden Spielhahn großmütig ihrem Personal überlassen. Da bleiben in den ersten Maienwochen, wenn der Auerhahn schon seine letzten Lieder schnackelt und der Spielhahn seinen Liebesreigen just beginnt, die Balzplätze des kleinen Hahnes oft tagelang ohne Aussicht denn ein verspäteter „Gawlier“ ist in der Jagdhütte eingerückt und nimmt das Personal in Anspruch.

Wenn dann der Jäger eines Morgens, früh um vier Uhr, seinen Herrn hinauslotst durch den steilen, finsteren Bergwald, lauscht er wohl in Sorg’ und Freude dem Grugeln eines Spielhahns, welcher hoch auf einem fernen Schneegrat balzt, und klopfenden Herzens genießt er die Weidmannsluft voraus, die ihm nach wenigen Tagen dort oben blühen wird. Es dämmert kaum – da rollt von jenem fernen Grat der verschwommene Hall eines Schusses über die Berge hin, und der Spielhahn schweigt. Dem Jäger giebt’s „an völligen Riß“ – aber weil er seinem Herrn den ohnehin schon halb vergrämten Auerhahn nicht verderben darf, verbeißt er seine Wut und flucht nur innerlich. „Himmelkreuzteufi no’ amal! Jetzt hat ma richti oaner den Hoh’ davo’, so a Lump, so a gottvermaledeiter!“

Ein paar Minuten später, wenn der schlecht angeplänkelte Auerhahn davongeritten ist, macht der Jäger freilich ohne „Schanierer“ seinem Aerger Luft. „No also! Jetzt hob’n ma alle zwoa an Schmarren! Jetzt is der Auerhoh’ verpatzt, und der Spielhoh’ is aa beim Deufi! Himmikreuzdivi …“ Das Ende dieses ellenlangen Fluches verliert sich zwischen den knirschenden Zähnen.

Der „Gawlier“, der noch immer mit verdutzten Augen den leeren Ast betrachtet, auf dem der Auerhahn gesessen, hat nur für die erste Hälfte dieses doppelte Jägerschmerzes das richtige Verständnis. Wenn er nur seinen Auerhahn hätte! Was geht ihn der Spielhahn selbes Jägers an! Man bleibt ja gerade in gutem Einvernehmen mit der Gemeinde, wenn man zuweilen die Augen ein bißchen zudrückt und einem Vetter des Bürgermeisters das krumme Federchen vergönnt. Der Jäger freilich denkt anders vom Wert eines Spielhahns – und wenn er am nächsten Sonntag beim Kirchgang unter den hundert Bauernhüten den einen entdeckt, der mit der frischen „Schaar“ geschmückt ist, dann blitzen seine Augen bei dem stillen Gelöbnis. „Wart, Brüderl! Wir zwoa wachsen z’samm mitanand! Für alles kummt a zahlende Zeit!“ Dieser Augenblick hat eine Feindschaft auf Leben und Tod erweckt – und über Jahr und Tag wird der Schnee wieder blühen – rot! Und um ein „Federl“! Das mag wohl traurig sein, aber es ist nun einmal so! Und wer es ändern will, muß ein anderes Volk in die Berge setzen!

Der richtige, leidenschaftliche Spielhahnjäger muß im Hochland geboren sein. Wohl schickt auch die Stadt aus ihrer echt grünen Weidmannsgilde tüchtige und ausdauernde Hahnenjäger in die Berge, im übrigen aber ist es manch einem „banlwoach’n“ (schwachknochigen) städtlerischen Jagdherrn gar nicht zu verdenken, wenn er vom Spielhahn der Berge redet wie der Fuchs von den sauren Trauben. Wohl kommt es auch in den Bergen vor, daß ein Spielhahn auf niedrig gelegenem Almfeld oder sonst an bequemer Stelle balzt, die von der nahen Jagdhütte aus mit einem gemächlichen Morgenspaziergang zu erreichen ist, der Jagdgast kriecht unter den vom Jäger erbauten Latschenschirm, wickelt sich in seinen Pelz, und kaum ist der Hahn im Morgengrau herangestrichen – paff! – bevor er sein erstes Liedlein noch ausgesungen hat, liegt er schon verendet auf dem Schnee oder empfiehlt sich mit Hinterlassung von ein paar abgeschossenen Federchen.

Aber diese „kammod’n Platzln“ gehören zu den Seltenheiten. Für gewöhnlich liebt der Spielhahn hochgelegene, selten von einem Menschenfuß betretene Grate, auf denen Mitte Mai die Latschen noch unter metertiefem Schnee versunken liegen. Keine Almhütte weit und breit, kein Jagdhaus in der Nähe. Da heißt es, lange vor Mitternacht aufbrechen, und nach einer schönen Wanderung durch den schlummerstillen Thalwald und unter funkelnden Sternen, bei deren Schein das lichte Maigrün der jungen Buchenblätter kaum als mattes Grau zu erkennen ist, beginnt durch wachsenden Schnee ein mühseliger Anstieg. Nach solchem Schneemarsch steckt der Körper in den Kleidern, als wäre er just aus einem Dampfbad gekommen. So kauert man hinter einem Felsblock, in einem spärlich deckenden Latschenbusch oder gar nur in einem Schneeloch, wehrlos angeblasen vom schneidenden Morgenwind. Da hilft kein Aufstülpen des Rockkragens, kein „Halstüechl“ und Wettermantel – kaum daß ein ausgiebiger Schluck doppeltgebrannten Enzians oder sonst eines scharfen Tropfens, der „g’hörig einhoazt wia Buech’nscheiter,“ die Unbehaglichkeit dieses ersten „dämpfigen“ Viertlstündl’s mildert, welches schadlos nur von einer wetterharten, robust gesunden Natur überstanden wird. Schauer um Schauer rüttelt den Leib, und schon nach wenigen Minuten eröffnet ein erster „Niasez’r“ das obligate „Falzkatharl“. Aber da klingt von irgendwo die schüchterne Stimmprobe eines erwachenden Hahnes – dem Jäger wird heiß, und Mühsal und Kälte sind vergessen.

Der Himmel lichtet sich, zwischen ziehenden Wolken leuchten in weiter Ferne gelbe Streifen auf, blaugrauer Schimmer zittert über allem Schnee, ein Teil der Wände liegt noch im Schatten der Nacht, mit pechschwarzen Wäldern, doch auf einzelnen Gipfeln, welche gegen Osten blicken, beginnen schon die Ferner ihr reines Weiß aus der weichenden Dämmerung hervorzulösen.

Ein leises Sausen huscht durch die graue Luft – und plötzlich gewahrt der Jäger, etwa hundert Schritte unterhalb seines Schlupfwinkels, auf dem weiße Schnee einen schwarzen Fleck. Es ist der Hahn, der auf dem Balzplatz eingefallen. Kaum noch erkenntlich steht der Vogel eine Weile regungslos, dann streckt er den Hals und äugt mit scheuer Vorsicht nach allen Seiten. Sobald er sich sicher glaubt, beginnt er sein Minnelied mit dem „Blasen“: Tschju-huischschd, tschiu-huischschd! Erst klingt es nur halblaut und schüchtern als wäre sein Mißtrauen noch nicht völlig beschwichtigt, oder als wollte er vorerst nur seine Stimme probieren. Nach einigen Minuten beginnt er hitziger zu werden; er bläßt und bläßt und führt dabei absonderliche Tänze auf – bald streckt er den Schnabel starr auf den Schnee und steht ein paar Sekunden wie hypnotisiert, bald wieder springt er mit schlagenden Schwingen hoch empor oder flattert unter rüttelndem Zischen mehrere Schritte weit bergan. Es ist Rasse und Leidenschaft in diesem Spiel – aber Leidenschaft, die nicht blind macht. Auch der hitzigste Hahn verliert nicht seine vorsichtige Scheu, immer wieder sichert und äugt er während des Blasens nach allen Seiten, und es währt geraume Weile, bis er, völlig sorglos, den eigentlichen Minnegesang beginnt, das „Rodeln“ oder „Grugeln“. Das ist ein Lied, das sich mit sprachlichen Lauten nicht wiedergeben läßt – es erinnert in manchen Tönen an das Ruksen und Gurren eines Taubers, doch klingt es lauter, mannigfacher und energischer, wohl auch melodiöser. Daß der balzende Spielhahn einen veritablen Walzer sänge, wie ein begeisterter Jagdschriftsteller behauptete, ist freilich poetische Uebertreibung. Aber ein bißchen Wahrheit steckt dennoch in dieser Behauptung. Ich konnte im Grugeln einzelner Spielhähne – besonders, wenn sie auf Bäumen sangen, und häufiger noch bei der ruhigen Herbstbalze – immerhin einen gleichmäßig wiederkehrenden Rhythmus unterscheiden, der sich musikalisch etwa folgendermaßen darstellen ließe.

Doch bei der Bodenbalz im Frühling, in der ersten Hitze seines Minneliedes, ist der Hahn zu toll und ungestüm in seinem Sangeseifer, um sich an strenge Kunstform zu halten und „nach Noten“ zu singen. Da hat jede Strophe seines Liedes anderen Laut und andere Melodie. Dazu schreitet er und dreht sich im Kreis, flattert und springt, unterbricht sein Rodeln und Blasen mit so drollig wirkenden Tönen und führt dabei Bewegungen von so drastischer Komik aus, daß es den Jäger in seinem Versteck oft Mühe kostet, ein lautes Auflachen zu unterdrücken.

Das sind köstliche Minuten für den echten Weidmann, der seine beste Freude an der Beobachtung des sangberauschten Hahnes findet und durch kein „Hahnenfieber“ sich verleiten läßt, einen voreiligen Schuß zu thun. Noch ist es auch nicht licht genug, um sicher zu zielen, und noch steht der Hahn zu weit. Doch er

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 398. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_398.jpg&oldid=- (Version vom 7.7.2023)