Seite:Die Gartenlaube (1897) 364.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Pfingstgebräuche im Thüringer Walde.
Von A. Trinius. Mit Illustrationen von H. W. Schmidt und O. Herrfurth.

Tausende und Abertausende wanderlustiger Menschen verlassen zu Pfingsten die Großstädte, und Dampfzüge über Dampfzüge rollen in die weite Ferne, um die Pfingstfahrer der freien Natur, den grünen Bergen, die im frischen Lenzschmuck prangen, zuzuführen. Auch Thüringen wird als dann von einem Strome wanderfroher Ausflügler überflutet, und wenn nur der Himmel einigermaßen ein Frühlingsantlitz zeigt, dann preisen tausend Zungen den unbeschreiblichen Zauber der Pfingsttage im grünen Thüringer Walde. Selbst der eingeborene Thüringer kann sich diesem Zauber nicht entwinden, und wie abhold der Geist der Neuzeit allen alten Volkssitten und Gebräuchen auch sein mag, tief im Walde hält noch der Thüringer an allerlei Veranstaltungen fest, welche den Reiz und die Weihe der Pfingsttage erhöhen, aus welchen blühende Frühlingsfreude uns entgegenlacht.

Wie der Wanderer in diesen Tagen die Heckenrose, den blühenden Zweig am Hut festnestelt, wenn es um ihn singt und duftet und leuchtet in berauschendem Ueberschwang; so sind diese uralten Pfingstgebräuche auch gleichsam durchwoben mit dem Grün, das in unerschöpflicher Fülle und Pracht die hochzeitliche Erde schmückt und dem armseligsten Fleckchen einen stillen Schimmer von Glück verleiht.

Eine der lieblichsten und rührendsten Sitten, denen ich noch im Thüringer Walde, vor allem in den Siedelungen und Städtchen der nordöstlichen Waldsaumstraße, begegnet bin, ist das pfingstliche Ausschmücken der öffentliche Laufbrunnen. Daß das Götzendienst und Heidenbrauch einst war – wer denkt heute noch daran? Welches von den Kindern, die diesen Kultus heute noch alljährlich üben, weiß etwas von den Quellnymphen und segenspendenden Göttern der Erde, denen die alten Germanen einst zur Frühlingsfeier an den Brunnen opferten, damit ihnen das köstliche Naß niemals versiege?!

Schon wochenlang vorher gehen Kinder von Haus zu Haus, um mittels Einschreiblisten kleine Beiträge einzusammeln, die nötigen Kosten des Brunnenschmuckes damit bestreiten zu können. Ausgeblasene Eier werden zierlich bemalt, Ketten von buntem Papier geklebt, Gewinde von Fichtenlaub hergestellt, Kränze gebunden und solche mit Bildern oder einem Bogen Papier ausgeflickt, auf dem ein kurzer Pfingstgruß, wohl auch ein selbstgereimtes Gedicht seinen Platz findet. Bandschleifen, Fähnchen vollenden dann den Schmuck.

Bekränzung der Brunnen.

Am Pfingstheiligabend bilden sich um die öffentliche Brunnen starke Gruppen von Kindern und Erwachsenen. Vier schlanke Lärchenbäume, ihrer unteren Zweige beraubt, werde zu Seiten der Brunnen im Viereck eingerammt. An und zwischen ihnen werden dann die Ketten und Gewinde von Grün, Eiern und Papier angebracht, die schwebenden Kränze befestigt, die Fahnen festgebunden. Und man steht herum, freut sich der vollendeten Arbeit und hält dann eine Wanderung von Brunnen zu Brunnen.

Die Glocke läute das Fest ein, Schwalben wiegen sich zwitschernd in der Abendglut, aus den Gärten quillt der Duft von Flieder und Weißdorn, Wanderer schreiten zum Gebirge, da und dort kehrt noch ein reisigbeladenes Mütterchen aus dem Walde heim – reingefegte Straßen, Kindergesang und Kinderlachen – deutsche Kleinstadtpoesie! – –

In einigen Walddörfern, so in dem prächtige Winterstein, herrscht auch noch die Sitte der „Pfingstbräute“. Am zweiten Pfingstmorgen machen sich die Mädchen der Dorfschule auf und ziehen in kleinen Trupps, fünf bis sechs Kameradinnen gewöhnlich, singend von Haus zu Haus, freundlich verabreichte Gaben einzusammeln. Vor jedem Hause schließen die Mädels dann einen Kreis um die Pfingstbraut und lassen dabei ihre Pfingstbrautlieder ertönen. Letztere stellen ein zuweilen fast sinnloses Gemisch altheimischer Liebeslieder dar, die in ziemlich eintönigen aber doch rhythmischer Weise zum Vortrag kommen. Ungefähr vier Lieder wechseln dabei untereinander. Ehemals trugen die Pfingstbräute – entsprechend dem Feste und seiner Zeit – einen Kranz frischgepflückten Birkengrüns. Leider ist diese poetische und sinnige Zier mehr und mehr verdrängt worden. Nur die Armen halten noch daran fest. Die mehr Bemittelten tragen heute Kronen von Perlen und künstlichen Blumen mit bunten Tüchern und lang herabwallenden Bändern, welche fast die ganze Gestalt bedecken.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 364. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_364.jpg&oldid=- (Version vom 6.7.2023)