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sogar aus dem Luftloch eines vermauerten Turmes erklingt der Ruf, wimmernd und ersterbend, in dem ein kürzlich eingefangener Verschwörer gegen das Leben des Nisams lebendig begraben wurde.

Straßenbettler.

Besonders festlich gestalten sich diese Umzüge, wenn während des Muharremfestes die kleineren Fürsten und Häuptlinge des Reiches mit ihrer bewaffneten Macht nach Haidarabad kommen, um dem Nisam zu huldigen. Dann wird an dem Tage Langar, der sonst den Armen geweiht ist, eine Heerschau abgehalten; dann wogt durch die Straßen der Löwenstadt ein so eigenartiger, farbenprächtiger und wilder Zug, wie er nur im Herzen des Orients zustande kommen kann. Noch einmal flackert dann der alte Glanz indischer Macht auf und die Heerscharen und ihre Abzeichen rufen die Erinnerung an glorreichere Zeiten zurück, da die Vorfahren des Nisams nicht müßig als englische Vasallen in ihren Palästen umherirrten, sondern durch kühne Waffenthaten die Nachbarn erschreckten und den Ruhm ihres Namens mehrten.

Unser Hauptbild (S.184 und 185) giebt uns einen Einblick in jene gewaltige Heerschau, die fünf bis sechs Stunden dauert. Der Zug gelangt gerade vor den auf der linken Seite des Bildes sichtbaren Palast des Kriegsministers. Im Vordergrunde erscheint eine Schar arabischer Krieger mit alten Waffen, dazwischen einige Lanzenreiter. Hinter dieser Truppe reitet ein Vasall des Nisams auf einem prächtigen buntbemalten Elefanten, begleitet von Fußsoldaten und Reitern. Im Hintergrunde zieht sich der Zug durch einen Thorbogen, durch den der nächste Elefant sichtbar ist. An diesem Tage sind die Soldaten wie Tiger bemalt und die meisten mit Lanzen und Schilden bewaffnet; nicht im Marschschritt, sondern springend und schreiend ziehen sie vorbei; die gelbe Farbe, das Abzeichen der Königswürde, ist am häufigsten vertreten. Tausende prächtiger Rosse, zahlreiche Kamele und Hunderte von Elefanten erhöhen den Eindruck dieser eigenartigen Heerschau. Unter schrillen Tönen der Kapellen und gellendem Geschrei der Soldaten wälzt und drängt sich der Zug nach dem königlichen Palast, wo der Nisam auf einem Balkon, von seinen Würdenträgern umgeben, die Huldigung der Getreuen entgegennimmt.

Ist der Jubel des Muharremfestes auf den Straßen der Stadt verstummt, dann haben vielfach die Sängerinnen im Innern der Häuser noch in später Nacht vollauf zu thun.

Den auf dem Ruhebett hingestreckten Favoritinnen, die das Haus nicht verlassen dürfen, tragen sie unter Begleitung von Trommel und Fiedel die Legenden vor, welche sich auf das heutige Fest, auf Ali und seine Söhne, auf die blutige Religionsschlacht in der Ebene von Kerbela beziehen. Dieselben Lippen, welche sonst jauchzend die Freuden der Liebe, des Lebensgenusses preisen, stimmen heute gellend mit ein in die Anrufung der Helden des Festtages, Hassans und Husseins. (Abbildung S. 190.)

Am andern Morgen aber nimmt die Stadt wieder ihr alltägliches Gesicht an; der brahminische Hindu öffnet ruhig wieder seine Geschäftsräume, und die nackten, langhaarigen mit Kuhdüngerasche bestäubten Gestalten der brahminischen Bettelmönche oder Jogis wagen wieder, ebenso dreist wie die moslemitischen Fakire, von einem Bazarhändler zum andern zu pilgern, um stillschweigend die Bettlerschalen auszustrecken in die von mildthätigen Händen bald Früchte, bald Brot oder sonstige Speisen gelegt werden. Ohne ein Wort des Dankes geht der Jogi seines Weges, in seinem religiösen Dünkel glaubt er vielmehr den Spender sich zu Dank verpflichtet zu haben, weil er ihm Gelegenheit gegeben, einem Jogi, einem nur in geistlicher Beschaulichkeit seine Tage verbringenden Frommen, eine Wohlthat zu erweisen. Thatsächlich sind dieselben die ärgsten Müßiggänger.

Ueberwiegt aber in einem Ort, wie in den Brahminenparadiesen in Südindien oder an der Malabarküste, die andere der beiden großen Religionen Indiens, die brahminische, dann thun ihre Anhänger das Aeußerste, um den hier geschilderten Festtrubel der Mohammedaner noch zu überbieten und die zum Vorteil der herrschenden Nation der Engländer bestehende religiöse Eifersucht immer mehr zu verschärfen.


Die Vogelwarte Helgoland.

Die Zeitungen haben vor kurzem den am 1.Januar 1897 erfolgten Tod des Marinemalers und ehemaligen britischen Regierungssekretärs Heinrich Gätke auf Helgoland gemeldet. 1814 in Pritzwalk geboren, kam Gätke als 23jähriger junger Mann nach Helgoland; und der Zauber des einsamen Nordseefelsens gab ihn nicht mehr frei; als 83jähriger Greis hat er hier auch sein Grab gefunden. Viele Besucher der Insel werden sich des prächtigen Kopfes mit langem weißen Barte erinnern und mancher wird gewiß auch hinaufgestiegen sein ins Oberland, um im gemütlichen Atelier mit dem liebenswürdigen alten Herrn eine Stunde zu verplaudern. Besonders Zoologen sah sein gastliches Heim, denn, so ansprechende Marinebilder auch sein Pinsel schuf, weit bekannter ist Gätke als Vogelkenner geworden. Seine Heimat machte ihn zum Gelehrten; ganz einzigartig ist ja in ornithologischer Beziehung der rote Felsen Helgolands.

Nur fünf Vogelarten nisten und brüten auf Helgoland, aber über die kleine Insel geht der Vogelzug, der jährlich die leichtbeschwingten Wanderer der Lüfte vom Norden in das mildere Klima des Südens führt und später wieder zurück in die nördlichere Heimat. Tausende und aber Tausende von Vögeln berühren zu kurzer Rast, die oft nur einige Stunden der Nacht dauert, das kleine Eiland, und zu den Arten, die regelmäßig im Hin- und Rückzug ihren Weg über Helgoland nehmen, gesellt sich manch seltener Fremdling, den ein Zufall, widrige Winde oder Ermattung nach Helgoland verschlugen. Auf dem roten Felsen des deutschen Meeres treffen Vögel zusammen, deren Heimat in verschiedenen Weltteilen liegt, die Hunderte von Seemeilen geflogen sind, bis sie auf ihrer Reise diesen Rast- und Ruhepunkt erreicht haben. Europa und Afrika, Amerika und Asien senden Kinder ihrer Zonen nach dem Felsbrocken der Nordsee. Schon vor Jahrzehnten schrieb Oetker: „Hier sind die Schneeammer aus dem eisigsten Norden und der Jungfernkranich aus dem heißen Numidien, der virginische Regenpfeifer aus Amerika und der Regenpfeifer aus Hinterindien in geringer Nähe bei einander getroffen worden, die kleine schwarzgraue Drossel aus den Urwäldern Amerikas und die große halbmondfleckige Drossel des Himalaya, der prächtige Bienenfresser Afrikas und das reizende Blaukehlchen Sibiriens, die Kappenammer des Orients und die Lapplandsammer des Polarkreises wurden auf einem Raum getroffen, der noch nicht den hundertsten Teil einer Geviertmeile ausmacht; die Seeschwalben des Kaspischen Meeres und der persischen Gewässer hat man auf derselben Stelle gesehen, wo die Eisenten Spitzbergens und die Möwen Grönlands sich tummeln.

Es ist das große Verdienst Gätkes, diese Bedeutung Helgolands als „Vogelwarte“ wissenschaftlich festgelegt zu haben. Tage und Nächte opferte er durch Jahrzehnte hindurch seinen Studien, sein scharfes Auge schweifte beobachtend hinaus über die Klippe zum Meer, und was ihm begehrenswert däuchte unter der Schar der gefiederten Gäste, das erreichte die sichere Büchse, und die kunstgeübte Hand stopfte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_191.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2023)