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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Nr. 7.   1897.
Die Gartenlaube.
Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Jahresabonnement: 7 M. Zu beziehen in Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf., auch in 28 Halbheften zu 25 Pf. oder in 14 Heften zu 50 Pf.

Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.
Trotzige Herzen.
Roman von W. Heimburg.

(6. Fortsetzung)

„Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll,“ erklärte Frau Medizinalrat acht Tage vor Weihnacht ihrer Schwägerin. Sie saßen nach dem Mittagsmahl in der Eßstube, Frau Rat mit der intensiven Röte im Gesicht, die bei ihr bekanntlich auf Sturm deutete, und verlasen Rosinen in ungeheuren Mengen, denn am folgenden Tage sollte die große Festbäckerei losgehen.

„Inwiefern weißt du nicht mehr, was du denken sollst?“ erkundigte sich Tante Emilie und schob ihre Brille zurück.

„Sie ist schon wieder spazieren gegangen,“ antwortete die Hausfrau stirnrunzelnd, „obgleich ich es ihr geradezu verbot wegen der enormen Arbeit. Dazu hat sie nun Zeit, aber als ich von ihr verlangte, sie solle doch nun endlich Anstalt machen und mit den Kindern zum Photographen gehen, da paßte es ihr nicht, wie schon seit acht Tagen, und es wär’ ein so hübsches Geschenk gewesen für Günther – Aenne und die Kinder auf einem Bild!“

„Ich kann solche voreilige Bilder nicht leiden,“ gab die kleine dicke Tante zur Antwort und beförderte ein ausgelesenes Häufchen Korinthen behutsam in die Schüssel, die sie auf dem Schoße hielt.

„Voreilige Bilder?“ fragte gedehnt die Rätin.

„Ja! Ich mag’s auch nicht, wenn sich Brautleute auf einem Bild abnehmen lassen; das ist nachher eine unangenehme Erinnerung, so lange sie leben, wenn nämlich nichts daraus wurde – verstehst du, Marie?“

„Na, Gott soll mich bewahren,“ antwortete diese, „du bringst einen auf recht nette Gedanken! Wenn ein Paar sich drei Wochen vor der Hochzeit nicht miteinander photographieren lassen soll, dann weiß ich nicht, wann es eigentlich geschehen könnte! Ich begreife außerdem nicht, Emilie, was du immer zu unken hast! Es ist eben nur, daß du für alles, was das eigensinnige Mädchen thut, eine Entschuldigung finden willst.“

„Erbarmen, Schwägerin, ich entschuldige sicher nicht alles bei der trotzigen Marjell, im Gegenteil –“ verteidigte sich die Tante.

„Dann solltest du ihr auch einmal die Wahrheit sagen,“ erklärte die geärgerte Mutter, „auf dich hat sie immer gehört! Aber du sitzst ganz gelassen dabei, wenn sie sich so höchst sonderbar zu benehmen geruht.“

Tante Emilie begnügte sich mit einem Kopfschütteln.

„Ja,“ gab seufzend die Rätin zu, „es hilft auch nichts, hast recht. Ich meine, der Oberförster sollt’ ’mal ein bißchen aufmucken, sollt’ sich die Launen nicht gefallen lassen Aber der sitzt da und sieht sie an mit verklärtem Gesicht und scheint sich nichts Besseres zu wünschen als so’n unartig Ding. – Ich begreife seine Geduld nicht! Ich hätte May ’mal so mißachtend behandeln sollen, na, ich glaube, es wär’ in selbiger Stunde aus gewesen mit ihm.“

„Nun, er liebt sie eben,“ entschuldigte Tante Emilie das Benehmen des Bräutigams.

„Es ist immer so,“ wehklagte die Rätin, „die zweiten Frauen haben es besser als ihre Vorgängerinnen. Wenn ich denke, wie die erste um ihn herum war! Alles las sie ihm an den Augen ab, aber Aenne thut nicht dergleichen. Wenn sie sich wenigstens um die Kinder bekümmern möchte! Ach,

Goethes „schöne Mailänderin“.
Nach dem neuentdeckten Gemälde von Angelika Kauffmann.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_101.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2016)