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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Nr. 4.   1897.
Die Gartenlaube.
Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Jahresabonnement: 7 M. Zu beziehen in Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf., auch in 28 Halbheften zu 25 Pf. oder in 14 Heften zu 50 Pf.

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Trotzige Herzen.
Roman von W. Heimburg.

(3. Fortsetzung.)

Aenne wünschte nichts sehnlicher, als unbemerkt von der Mutter ihre Stube zu gewinnen, um sich zu fassen. Aber es gelang ihr nicht.

Die Frau Rätin, die eine kleine Meinungsverschiedenheit mit ihrem Manne gehabt hatte, saß mit hochrotem Kopf in der Küche beim Quittenschälen, und der Zorn über die verlorene Schlacht gegen den Eheherrn fand einen willkommenen Ableiter in Aennes langem Ausbleiben. „Sie soll nur kommen! Es ist zu toll, die eine Stunde des erlaubten Spazierengehens auf zwei auszudehnen. Alles muß man allein besorgen, keinerlei Hilfe hat man von dem großen Mädchen! Wozu ist sie denn da? Um der Mutter zu helfen doch selbstverständlich – statt dessen wird gebummelt mit Tante Emilie, die eigens für den Zweck erschaffen zu sein scheint, um die mütterliche Erziehung über den Haufen zu werfen!“

Frau Rätin erhob sich, legte das Messer in die Schüssel mit den zerschnittenen Quittenstückchen und riß die Thür nach dem Flur sperrangelweit auf, um die Ausbleiberin ja nicht zu übersehen. Sie zündete noch zum Ueberfluß die kleine Oellampe neben der Hausthür an, was sonst nur bei festlichen Gelegenheiten geschah. Kaum hatte sie wieder Platz genommen, als die Schelle ging und Aenne auf die Schwelle trat.

Wie eine Rakete schoß die gestrenge Mama aus der Küche. „Na, da sind wir ja!“ rief sie. „Es ist alles mögliche, daß du schon kommst! Nun bitte, mein Fräulein, bemühe dich hierher und hilf! Ich muß mich zu Tode plagen, und andere Leute bummeln!“ Aenne wäre an jedem anderen Tage der kleinen scheltenden und im innersten Herzen so guten Mutter um den Hals gefallen, hätte sie ausgelacht und allerlei Possen getrieben – heute, in ihrer furchtbaren Erregung, fühlte sie, wie ihr das heiße Blut zu Kopfe stieg, und zum erstenmal gab sie eine trotzige Antwort. „Du redest mit mir, als sei ich die Karoline, Mama! Ich werde doch wohl das Recht haben, ein Viertelstündchen länger zu bleiben, wenn das Wetter so schön ist.“ Damit holte sie ein Messer aus dem Kasten und begann mit zitternden Fingern bei der Arbeit zu helfen. Frau Rätin aber war es, als habe die Posaune des Jüngsten Gerichts geblasen – das war noch nicht dagewesen!

„Hör’ mal,“ keuchte sie, „weißt du auch, daß du – daß du den Respekt vergißt gegen deine Mutter? Nicht eine Minute länger hast du zu bleiben, als wir dir es erlauben! Weiß Gott, heute muß die Verrücktheit in der Luft liegen (sie dachte an den Herrn Rat dabei), aber ich will euch Raison beibringen, und vor allem dir, die – du – –“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_053.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2016)