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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Ihre Mitteilungen darin beschränkten sich auf die Adresse ihres Rechtsbeistandes, den sie zu jeder Verhandlung ermächtigt habe, und dann bat sie ihn noch einmal in dringender und fast herzlicher Weise, sich nicht in ihren Feind zu verwandeln; er hätte sie zu diesem Schritte gezwungen und es käme gewiß bald die Stunde, in der er es ihr dankte, daß sie den Mut gehabt, sie beide von einer Kette zu befreien, deren Druck gleich schwer auf jedem von ihnen gelastet. –

Der Geheimrat war sofort zu dem Rechtsanwalt gefahren. Er hatte die Ueberzeugung, daß dieser ihm den gegenwärtigen Aufenthalt seiner Tochter würde vorenthalten wollen, und er war überrascht, daß man keinen Versuch dazu machte, sondern ihre Wohnung ihm sofort nannte.

Auch dort fand er nichts von dem Widerstande, den er glaubte besiegen zu müssen, ehe er bis zu Elfe gelangte.

In einem sehr freundlich und behaglich eingerichteten Wohnzimmer fand er sie mit einer Näharbeit neben einer alten Dame beschäftigt, und diese stellte sich, da Elfe bei dem Wiedersehen zu bewegt war, um auf Formen zu achten, selbst als verwitwete Majorin Will vor, welche in seiner Tochter einen lieben Gast beherberge. Er brauchte die Bitte, ihn mit derselben allein zu lassen, gar nicht auszusprechen, denn nach dieser Erklärung ging sie aus dem Zimmer, und der Geheimrat glaubte, nun leichtes Spiel zu haben, da Elfe es den Ihren ja so leicht gemacht, sie zu finden und zurückzuführen.

Aber er wurde bald eines anderen belehrt. Er fand sein früher so leichtlebiges und gedankenloses Kind als ein gefestigtes junges Weib wieder, das entschlossen schien, den Kampf um seine Freiheit gegen eine Welt durchzufechten. Alle seine Einwände und Beschwörungen prallten machtlos an ihr ab. Sie wußte, was ihr bevorstand, kannte den Weg, den sie gehen mußte, um vor sich selbst bestehen zu können, und sprach auch zu ihm die Ueberzeugung aus, daß Walden es ihr danken würde, daß sie den Mut der Wahrheit gehabt, um ihr ferneres Leben von der Lüge dieser Ehe zu befreien.

Als der Geheimrat nun dazu überging, ihr ein Bild der Zukunft zu malen, derjenigen, die sie aufgab, wie derjenigen, die einer geschiedenen, von ihren Eltern verstoßenen Frau harre, da – kam das Schlimmste, denn da sagte sie ihm, was Walden zum Glück nicht wußte und auch nicht erfahren sollte, daß sie diesen um eines anderen willen verlassen habe.

Sie sei mit Lieutenant Lüdeke verlobt gewesen, als Walden in ihr Leben trat; den Regungen der Eitelkeit sei sie, das urteilslose Kind, anheimgefallen, um, als sie zum Verständnisse erwachte, sich gebunden zu fühlen. Diese Ehe, die weder sie noch ihren Gatten beglückt, schiene ihr gelöst; nachdem ihr Kind gestorben und seit sie die Gewißheit habe, daß Lüdeke ihr vergeben habe und daß sie beide getrennt voneinander nie glücklich werden können, scheue sie den Kampf nicht, um zu diesem Ziel zu gelangen.

Der Geheimrat war außer sich, überhäufte sie mit Vorwürfen und Verdächtigungen und lachte spöttisch, als Elfe schwur, sie hätte Lüdeke in den letzten Monaten nur einmal gesehen, das sei an dem Tage gewesen, als sie sich endgültig von Walden getrennt habe. Da hätte er sie hier zu seinen Verwandten gebracht, und sie würden sich auch nicht wiedersehen, ehe die Ehe getrennt sei; dann aber sollte, sobald die Formalitäten erfüllt wären, ihre Trauung stattfinden.

„Papa,“ hatte Elfe gesagt, „Du siehst, es ist alles wohlerwogen und wird so ausgeführt werden! Wenn Du mich zweifelnd fändest, hättest Du recht, mich zurückzuhalten, jetzt mußt Du fühlen, daß Du vor unumstößlichen Entschlüssen stehst. – – Ich mache euch keine Vorwürfe, ihr habt gewiß im guten Glauben, mein Glück zu sichern, gehandelt, aber ich meine, nachdem ihr mich zu dieser Ehe bewogen, die nur um äußerer Vorteile geschlossen wurde, habt ihr kein Recht, euch zu beklagen, daß ich um euren Rat nicht bitte!“

„Wovon wollt ihr leben?“ hatte der Geheimrat gefragt. „Die höchste Verachtung von Geld und Gut pflegt uns noch nicht satt zu machen. Und ein Offizier ohne Vermögen, mit einer geschiedenen Frau – nie läßt das Regiment solche Ehe zu!“

Und die junge Frau antwortete:

„Lüdeke hat seinen Abschied bereits eingereicht und wird sich bemühen, eine Civilanstellung zu finden –“

„Da kann er warten,“ hatte er höhnisch gerufen, „oder wollt ihr nach Amerika gehen?“

Und sie meinte darauf: „Nein, das wollen wir nicht. Fredi sagt, wer arbeiten will, kann auch im Vaterlande fortkommen, und wir haben nichts Böses gethan, um uns vor unseren Bekannten verbergen zu müssen!“

„Ihr – nichts Böses gethan?! – Wie ist solch ein Selbstbetrug möglich!“

„Papa, ich lösche die Lüge aus meinem Leben. Was ich damals that: mich zu verheiraten aus Lust an Reichtum und Wohlleben, das war eine Erniedrigung, jetzt werfe ich alles von mir, und fühle mich in der Armut erhöht!“

Der Vater war darauf fortgestürzt, ohne ihr die Hand, um die sie bat, zu reichen; er fand keine Worte mehr, um diese Verblendung zu bekämpfen. Dabei hatte Elfe so merkwürdig ausgesehen, mit den großen Augen und der feinen Furche zwischen den Brauen; gar nichts mehr von der lieblichen kindlichen Schönheit, die sie sonst ausgezeichnet. „Wahrhaftig,“ sagte er zu seiner Frau, „sie ist um ein Jahrzehnt gealtert; ich wundere mich eigentlich nicht, daß Walden nach ihrem Besitze gar nicht mehr verlangt, sondern nur aus Scheu vor der Blamage sich bisher gegen die Trennung sträubte.“

„Und nun,“ sagte die Geheimrätin, die trockenen Auges diese Mitteilungen vernommen hatte, „nun wird also zunächst der Ehescheidungsprozeß die Welt in Bewegung setzen. Die ungeheuerlichsten Gerüchte werden erfunden und in Umlauf gesetzt werden; wenn wir auf die Straße gehen, zeigen die Leute auf uns: ,Das sind die Eltern‘, und secieren uns bei lebendigem Leibe auf unser Denken und Fühlen. Vielleicht mischt sich etwas Mitleid hinein – vielleicht? Im allgemeinen wird’s heißen: ja, wenn man es so macht – wenn man es so treibt – und dann wird unsere ganze Vergangenheit hervorgeholt, jeder Thaler, den wir ausgegeben, noch einmal besprochen! Wir haben viel Glück im Leben gehabt, Erich, das verzeihen uns die Menschen nie!“

„Aber Käthchen!“

„Nein, lass’ nur, Erich, es schadet nichts, wenn man sich das klar macht, wie es kommt. – Nun ist diese Sache also beendet, man beginnt, sich zu beruhigen – da kommt der neue Eclat: die Trauung mit dem verabschiedeten Sekondelieutenant! Ha – nun begreift man plötzlich – also deshalb! Der Mann hat sie aus diesen Gründen fortgejagt!“

„Aber Frau,“ sagte der Geheimrat, selbst schmerzlich erregt, „zügle doch Deine Phantasie! Du machst es Dir gar zu schwer, so ist es denn doch nicht, wir haben doch auch Freunde –“

„Freunde in der Not – geh’n hundert auf ein Lot!“ sagte sie bitter. „Täusche Dich nicht darüber! Wenn man über uns allerwegen tuschelt, wenn Deine Vorgesetzten die Nase rümpfen und die Achseln zucken: solch ein Skandal in der Familie eines Mannes, der an der Spitze einer hohen Behörde steht! – dann, Erich, zeige mir einmal die Freunde!“

„Nein, nein,“ sagte er entschlossen, „das wollen wir nicht abwarten, Käthchen! Es wird uns eine Wohlthat sein, hier fortzukommen, und so wollen wir gehen. Ich werde sofort meine Pensionierung nachsuchen, meine Gesundheit läßt ja in der That viel zu wünschen übrig, und für uns beide langt’s auch so! Laß uns alles so schleunig und so still als möglich ordnen. Dann machst Du angeblich eine Besuchsreise zu Lisbeth und Arnold, ich komme Dir, sobald meine Vertretung hier geordnet ist, nach, und alles übrige kann man dann von unserem neuen Wohnort – Wiesbaden soll’s sein, nicht wahr? – bewerkstelligen.“

Sie lag an seiner Brust.

„Dank, tausend Dank! – Das ist die einzige Rettung! – Ach, ich kenne jetzt wirklich kein anderes Verlangen mehr als Einsamkeit – Stille – – untertauchen möchte ich – verschwinden – – nichts thäte mir so weh als die mitleidig triumphierenden Blicke Deiner Herren Kollegen, die nun den Kampf um Deine Stelle beginnen!“


18.

Jahre sind seitdem vergangen.

In einer der stillen Straßen Wiesbadens, in einem einfachen, aber sehr freundlich gelegenen Hause, welches nach der Rückfront einen kleinen Garten hat, sitzen auf der Veranda Geheimrat Brückner, seine Gattin und ihr Schwiegersohn, Arnold Römer, der nun auch schon den „Geheimen“ vor seinem Ratstitel trägt.

Sie sind beim Frühstück und lassen sich dasselbe hier im Freien, an diesem köstlichen Frühlingsmorgen im Schatten der prächtigen Bäume wohlschmecken.

Geheimrat Brückner trägt einen hellen Sommeranzug, der die frischen Farben seines Gesichts sehr hebt, er wiegt sich im

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 880. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0880.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2024)