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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Was?“ rief da Hansen überlaut und sprang auf, „was? Und dabei Polterabend?“ fügte er mit einem unsicheren Lachen hinzu, als sein neuer Freund ihn wieder kopfschüttelnd betrachtete, „das muß ja wirklich eine sonderbare Geschichte sein, wie Sie schon sagten, Herr Doktor! Doch erzählen Sie weiter,“ fuhr er fort, indem er sich auf die Stuhllehne stützte, „es werden ja wohl nicht mehr so viel überraschende Pointen kommen, die einen nervösen Menschen beinahe dazu bringen können, seinen Stuhl umzuwerfen!“

Er lachte wieder kurz auf. Dem Doktor gingen allerhand schlaue Gedanken durch den Sinn, er gab ihnen aber vorderhand noch keine Worte.

„Na,“ sagte er ruhig, „also ich kann weiter erzählen. Das Fräulein ist seit zwölf Jahren, oder noch etwas länger, das Schönheitswunder der ganzen Stadt; daraus sehen Sie, daß sie nicht mehr allzujung sein kann! Aber sie hat sich alles, was die Jugend ziert, Farben, Frische, Lieblichkeit und Anmut, in ganz merkwürdiger Weise erhalten; Sie können sich denken, oder vielmehr nicht denken, wie schön das Mädchen sein muß, wenn sie heute, wo sie ja fast dreißig Jahr alt ist, mich alten, nüchternen Doktor noch in Ekstase zu bringen vermag! Dabei trägt sie ihre Schönheit nicht wie andere Mädchen, nicht wie einen neuen Hut, den jeder bewundern soll – nein, mit einer gewissen Gleichgültigkeit, die manchmal an Ueberdruß streift und die ihr, wie alles, was sie thut, entzückend zu Gesicht steht! Daß diese Perle des menschlichen Geschlechtes von allerhand Freiern umdrängt, umworben, angefleht und angedichtet worden ist, das werden Sie sich denken können! Aber sie sind alle mit langer Nase abgezogen – warum, das wußte keiner so recht! An eine Herzensunempfindlichkeit mochte man nicht glauben, und so hieß es schließlich, die schöne Käthe habe eine Jugendliebe gehabt – einen Schauspieler oder Sänger oder sonstigen Luftikus, und diesem Sausewind zu Ehren wolle sie ihre vielbegehrte Hand keinem andern geben. Na, das sind Redereien. In jedem Fall ist sie unvermählt geblieben und wohnt mit ihren Eltern in einem alten Landhaus vor dem Thor, das sich der Bürgermeister gekauft hat, dicht am Fluß gelegen.“

„Ich weiß, ich weiß!“ nickte der Maler selbstvergessen, „nur weiter!“

Das Licht, das dem Doktor vorhin aufzuglimmen begann, wurde immer heller.

„Was Tausend!“ sagte er vor sich hin.

„Weiter!“ drängte der andere fast mit Heftigkeit.

„Nun denn – jetzt vor einiger Zeit hat das schöne Mädchen gewissermaßen offiziell erklärt, daß man sie von nun an mit allen Heiratsanträgen verschonen möge; sie werde jetzt einen Hausstand gründen, wie es für ihr Alter schicklich und angemessen sei – aber für sich allein! Die Eltern, die ihr alles zu Willen thun, haben ihr den ersten Stock des Hauses überlassen; den hat sie sich mit lauter neuen, hübschen Sachen anmutig und absonderlich, wie es ihre ganze Art ist, eingerichtet, und morgen will sie da hinaufziehen. Sie will dort Gäste bei sich sehen, eigne Küche führen, die alten Eltern bei sich bewirten, alles haben wie eine junge Frau – nur keinen Mann! Vor etwa acht bis zehn Tagen hat sie mich holen lassen – ich bin so ein bißchen der Vertraute da im Hause und hat mir diesen schnurrigen Plan auseinandergesetzt. „Ich feiere Hochzeit mit meiner Selbständigkeit!“ sagte sie und lachte mich an, daß mir wieder ganz sonderbar wurde – „mit der werde ich mich sehr gut vertragen, sie wird mir nie widersprechen und wir werden sehr vergnügt sein! Sie sehen, ich will nicht heiraten, aber ich will Hochzeit halten und besonders will ich einen Polterabend feiern! Das habe ich mir immer so hübsch gedacht und nie eingesehen, warum wir alten Jungfern diesen Spaß nicht auch haben: einen neuen Lebensabschnitt willkürlich zu bestimmen und lustig darin einzutreten! Sie und unsere andern guten Freunde und getreuen Nachbarn können alle kommen und mich ansingen und andichten und necken und schlecht machen, so viel Sie nur mögen – statt einer Hochzeit lade ich Sie dann in meiner neuen Wohnung zu einem großartigen Abendessen ein, und Sie sollen sehen, daß ich die Wirtin zu machen verstehe!“

„Nun können Sie sich denken, was weiter geschah,“ fuhr der redselige Herr fort und that, als merkte er gar nicht, wie das finstere Gesicht seines schweigsamen Gegenübers heller und heller wurde. „Wir alle, die wir mehr oder weniger in den Ketten der schönen Käthe gelegen haben und die außerdem dem wackeren Bürgermeister und seiner prächtigen alten Frau jeder an seinem Teil zu Dank und Ehrfurcht verpflichtet sind, wir ergriffen die Gelegenheit mit tausend Freuden, uns einmal erkenntlich zu zeigen. Die ganze Bürgerschaft schloß sich nach und nach an, seit mehreren Tagen schleppt alles „Hochzeitsgeschenke“ nach dem Hause am Fluß, und morgen abend soll der seltsame Polterabend stattfinden. Als pièce de résistance und Hauptknalleffekt an diesem großen Abend sollte nun eine Reihe von Bildern vorgeführt werden – Bilder aus dem Leben der Hauptperson, selbstverständlich! – und damit sind wir gründlich reingefallen. Der Apotheker, der uns die Sachen zeichnen sollte, hat wahre Ungeheuerlichkeiten an Geschmacklosigkeit hervorgebracht und selbst beschämt zugestanden, daß er mit seiner Aufgabe nicht zustande zu kommen vermöge. Und nun kommen Sie heute abend wie vom Himmel geschickt, mein Herr Maler – verzeihen Sie, wenn ich Sie aus Mangel einer passenderen Bezeichnung so anrede – und hier stehe ich und bitte: helfen Sie uns aus der Not!“

Peter Hansen stand in tiefen Gedanken. Der Doktor blinzelte ihn schlau von der Seite an.

„Sehen Sie, da kommt erst die Kinderzeit – die Schule – der erste Ball –“

„Und dazwischen doch noch die Tanzstunde im Rathaussaal!“ fuhr der unvorsichtige Maler dazwischen.

„Richtig – die Tanzstunde!“ sagte der Doktor kaltblütig, „na – wie wird’s? Sie haben am Ende genug künstlerische Einbildungskraft, um sich die Reihenfolge selbst zurecht zu denken! Spiritus – merkst du was?“ Er legte bei diesen Worten unserem Helden die Hand auf die Schulter und sah, ihm mit einem so gutmütig pfiffigen Ausdruck ins Gesicht, daß Hansen wider Willen lächeln mußte.

„Beichten Sie mal!“ fügte der Doktor hinzu, „Sie haben die schöne Käthe wohl auch gekannt? Mir dürfen Sie’s ruhig sagen; ich will’s auch mit Offenherzigkeit vergelten und Ihnen gestehen,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 851. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0851.jpg&oldid=- (Version vom 7.6.2023)