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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Korsett und Bleichsucht. Warum erkranken wohl unsere jungen Damen so gar häufig an der Bleichsucht? Weil sie nicht naturgemäß leben, sich zu wenig in frischer Luft bewegen, lautet gewöhnlich die Antwort auf diese Frage. Die Bleichsucht des jugendlichen Alters ist darum eine Kulturkrankheit. Gewiß, das ist sie, sie war wenigstens den Aerzten des Altertums und des Mittelalters nicht in dem Maße bekannt, wie dies in unserm Zeitalter der Fall ist, aber sie befällt keineswegs nur Damen, die müßig dasitzen, sondern auch Dienstmädchen, die sich ausarbeiten, und zwar nicht nur in der Stadt, sondern auch auf dem Lande in durchaus frischer Luft. In unsrer Kultur muß also ein besonderes Ding stecken, das sowohl auf dem Lande wie in der Stadt zur Vermehrung der Bleichsucht beiträgt. Und in der That hat man dieses Kulturding, den Hauptverursacher der Bleichsucht, ermittelt – in dem schon so oft verpönten Korsett.

Korsetttragen und Häufigkeit der Bleichsucht wandern Hand in Hand durch Zeit und Raum. So steht es fest, daß in den Städten Deutschlands Korsett und Chlorose erst zu Anfang des vorigen Jahrhunderts zu größerer Verbreitung gelangten, unter der deutschen Landbevölkerung sogar erst um die Mitte dieses Jahrhunderts – daß nach den übereinstimmenden Zeugnissen der darüber berichtenden Aerzte auch unter der ländlichen Bevölkerung Schwedens die Bleichsucht erst in diesem Jahrhundert auftrat und schnelle Verbreitung gewann, daß die Perserinnen keinerlei den Brustkorb beengendes Kleidungsstück, aber auch keine Bleichsucht des Entwicklungsalters kennen und daß in Japan im allgemeinen nur die sich europäisch kleidenden jungen Damen bleichsüchtig werden. Diesen Zusammenhang des Korsetts mit der Bleichsucht hat Dr. E. Meinert im Heft 115/116 der „Sammlung klinischer Vorträge“ durch anatomische Untersuchungen in überzeugender Weise klargelegt. Leider ist diese Schrift nur für Aerzte verständlich. Denselben Gegenstand hat aber auch Prof. O. Rosenbach in einem Büchlein „Korsett und Bleichsucht“ (Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt) gemeinverständlich behandelt, das fleißige Beachtung unsrer Frauenwelt verdient.

Durch diese Arbeiten wird wieder einmal klargelegt, wie unheilvoll das Korsett auf die Gesundheit des weiblichen Geschlechtes einwirkt, wie zweckwidrig und geradezu schädlich unsere Frauenkleidung ist. Möchten sie doch dazu beitragen, daß die oft versuchte und von allen einsichtsvollen Menschen gebilligte Kleidungsreform der Frauenwelt endlich zur Wahrheit werden möchte! Welches Verdienst um die Völker Europas würde sich eine Fürstin erwerben, die mit gutem Beispiel auf dieser Bahn vorgehen wollte. Die Nachwelt könnte sie preisen als eine Erlöserin des Kulturweibes aus schändlichen und schädlichen Banden. Aber auf diese Frauenemancipation werden wir allem Anschein nach noch ein gutes Weilchen warten können, obgleich es an Befürwortern derselben auch nicht in der deutschen Frauenwelt mehr fehlt. Bis dahin kann man der Frau, die in der modernen Tracht mit einhergehen zu müssen glaubt, nur den Rat geben, das enge Schnüren zu vermeiden und so wenigstens einen Teil der Schädlichkeit zu beseitigen.

Um festzustellen, welche Größe des Korsetts den individuellen Verhältnissen, also dem Bedürfnisse der Atmung, der Herzthätigkeit und Verdauung, entspricht, empfiehlt Professor Rosenbach folgendes Verfahren: Nachdem das Korsett nach Ablegung der Oberkleider von vorn völlig geöffnet ist, drückt man es mit zwei Fingern leicht gegen die Brustwand und läßt nun so lange tief einatmen, bis die entsprechende vollkommene Form der Atmung, das heißt ergiebige Erweiterung des Brustraums ohne angestrengte Mitwirkung der Halsmuskeln und ohne Beeinträchtigung der Magengegend erzielt ist. Die Größe des Abstandes der vorderen Korsettränder bei der tiefsten Einatmung giebt dann das Maß für den wahren – nicht der Mode, sondern den körperlichen Bedürfnissen entsprechenden Umfang des Schnürleibes. *      

Im Galopp.
Nach dem Gemälde von Ferd. Pacher.

Amerikanische Wasserotter auf Froschjagd. (Zu dem Bilde S. 753.) Unter den Giftschlangen Nordamerikas ist die Wasserotter oder Wasserlanzenschlange eine der gefürchtetsten. Das mächtige bis anderthalb Meter lange Reptil bewohnt Bäche und Flüsse, Teiche und Seen, Brüche und Sümpfe und macht hier nicht nur die kühle Flut, sondern auch das Land in der nächsten Umgebung des Wassers unsicher. Die Wasserotter zählt zu den Schlangen, die am Morden Lust empfinden; sie beißt, auch wenn sie gesättigt ist, und bedroht nicht nur ihre Angreifer, sondern jedes an ihr vorüberziehende lebende Wesen. Darum ist sie auch der Schrecken der Menschen, namentlich der Reisbauer, die in sumpfigen Gründen arbeiten. Das Gift dieser Schlange hat furchtbare Wirkungen, denn es tötet sowohl Warm- wie Kaltblüter, ja selbst Giftschlangen anderer Art. Ihre Lieblingsnahrung bilden Fische und Frösche, und auf einer Jagd nach diesen Tieren ist auch die Wasserotter begriffen, die unser Bild dem Leser vorführt. Die Schlange hatte bereits einen Fisch aus dem Wasser geholt, als sie eines Frosches ansichtig wurde. Sie läßt das eine Opfer liegen und packt mit sicherem Schlag das neue. Das Kleid der Wasserschlangen ist auf hellerem Grunde dunkel gebändert, aber die Färbung wechselt vielfach; denn gleich anderen Schlangen passen sich die Wasserottern der Umgebung an. So giebt es schwarze, erdbraune, kastanienbraune und olivenfarbige Spielarten. – Die Wasserottern können in Terrarien gehalten werden, denn sie nehmen in der Gefangenschaft Nahrung an und pflanzen sich ohne Schwierigkeit fort. Ihre Mordlust legen sie aber auch hier nicht ab und vergiften in kurzer Zeit alle Tiere, die man ihnen beigesellt; selbst die stärkeren Klapperschlangen werden von ihnen arg zugerichtet.

Im Galopp. (Zu dem nebenstehenden Bilde.) Ja, so sind die Mütter! … Eigentlich sollte sie zanken, wenn ihr Jüngster durch seine gar nicht mehr so leichte Persönlichkeit die Last auf dem Schubkarren noch mutwillig vermehrt. Aber statt dessen fährt sie noch „Galopp“ und lacht dazu – und hat ganz recht, denn um einen Prachtjungen wie dieser kleine Hans Ohnestrumpf könnte ja eine Königin die arme Frau beneiden: die Aehnlichkeit zwischen Mutter und Sohn trägt auch noch bei zu dem erfreulichen Eindruck des anspruchslosen hübschen Bildchens, das niemand ohne Vergnügen betrachten wird.

Die Zählung der Tierwelt. Die Zahl der gegenwärtig auf der Erde lebenden Tierarten beträgt Hunderttausende und wird immer größer, je genauer Länder und Meere durchforscht werden. Neuerdings wurden von Zoologen die bis jetzt bekannten Arten gezählt und es kam dabei die stattliche Summe von 366000 Tierarten heraus. Am reichhaltigsten sind die Insekten vertreten, denn sie allein umfassen 230000 Arten. Von Vögeln kennen wir 12500, von Fischen 12000, von Lurchen und Kriechtieren 4400 und von Säugetieren 2500 Arten. Der Rest entfällt auf die niederen Tiere, unter denen die Mollusken mit 50000 Arten obenan stehen. *      


Inhalt: Die Geschwister. Roman von Philipp Wengerhoff (6. Fortsetzung). S. 741. – Das Denkmal der Brüder Grimm in Hanau. Bild. S. 741. – Es kommt ein Tag, der der letzte ist. Gedicht von Ernst Scherenberg. S. 744. – Die Eröffnung des Eisernen Thores. Von Paul Lindenberg. S. 744. Mit Abbildungen S. 745 und 746. – An der Quelle des Lüneburger Salzes. Von Gustav Kopal. S. 747. Mit Abbildungen S. 747, 748, 749 und 750. – Der laufende Berg. Ein Hochlandsroman von Ludwig Ganghofer (Schluß). S. 750. – Amerikanische Wasserotter auf der Froschjagd. Bild S. 753. – Blätter und Blüten: Graf August von Platen-Hallermund. Mit Bildnis. S. 755. – Das Denkmal der Brüder Grimm in Hanau. S. 755. (Zu dem Bilde S. 741.) – Erwerbsmöglichkeiten für deutsche Frauen in Amerika. S. 755. – Korsett und Bleichsucht. S. 756. – Amerikanische Wasserotter auf der Froschjagd. S. 756. (Zu dem Bilde S. 753.) – Im Galopp. Mit Abbildung. S. 756. – Die Zählung der Tierwelt. S. 756.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 756. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0756.jpg&oldid=- (Version vom 5.5.2024)