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„Saul“ (1862) ist diese Grundlage eine biblische, in „Friedrich der Zweite von Hohenstaufen“ (1863) eine mittelalterliche, in „Florian Geyer“ (1866) ist sie der Zeit des Banernkriegs, in „Kaiser Maximilian von Mexiko“ (1868) der neuesten Zeitgeschichte entnommen. In allen Dramen herrscht ein kräftiger, dem Ideal der Aufklärung zugewandter Geist. Das letztgenannte ist in Bezug auf dramatische Technik das gelungenste, reifste. Wenn auch in ihm manches Historienhafte mit hereinspielt, so hat doch die Charakterzeichnung, besonders diejenige des einfachen Republikaners Juarez und der interessanten Prinzessin Salm, Kraft und Mark, auch der Wahnsinn der Kaiserin ist in ergreifender Weise dargestellt. Das Wagnis, einen Stoff aus so naher Vergangenheit, aus der Zeitgeschichte zu wählen, erscheint uns durchaus gerechtfertigt; die Vorbilder der griechischen und englischen Tragiker sprechen für solche Berechtigung. Leider aber erschweren die Rücksichten, welche unsere besseren Theater meist nehmen müssen, ihre Aufführbarkeit.

Sehr überrascht hat der Nestor der schwäbischen Poeten durch seine neueste, wie die früheren im Cottaschen Klassikerverlag erschienene Gedichtsammlung, welcher er den Titel: „Mit achtzig Jahren“ gab, indem er den Mut besaß, alle die Gemeinplätze herauszufordern, mit denen man die Poesie der Hochbejahrten abzufertigen liebt. Geistig verkrustet und versteinert soll das hohe Alter sein und das Saitenspiel der Dichtung nur matt unter seiner welken Hand erklingen. Und doch weiß die Geschichte in allen Zeiten von betagten Sängern zu melden, welche nicht geringeren Dichterruhm erworben haben als die aufstrebende feurige Jugend. Man wird dem greisen schwäbischen Dichter nicht nachsagen können, daß er eine lahme Hand hat, welche nur noch altersmüde Verse auf das Papier kritzelt. Mag hier und dort auch in der Form eine kleine Versteifung eingetreten sein: bei weitem stärker ist der Eindruck, daß Fischers Lyrik noch immer aus einem Empfindungsquell von seltener Frische schöpft. Diese Sammlung ist reich an Versen von melodischem Fluß bei tiefsinnigem Gedankeninhalt, an Liedern von jenem feurigen Guß, wie er sonst nur der Jugend eigen zu sein pflegt. Wie schön besingt er „seine Muse, seine Liebe“:

J. G. Fischer.
Nach einer Aufnahme von Hofphotograph H. Brandseph
in Stuttgart.

„All meine Sinne sind bei dir,
Ich geh’ mit dir, du gehst mit mir,
Du Glück an meiner Seite;
Und fühlst du, wie das Herz mir bebt
Und wie mich von der Erde hebt
Dein unsichtbar Geleite?

So bleibe mein! Und unverwandt,
Du Tröstung, die mir Gott gesandt,
Laß mich dein Bild umfassen;
Du hast mich reich und froh gemacht
Und neues Leben mir gebracht,
Sonst wär’ ich ganz verlassen.

Sprach’ alle Welt: Es ist ein Spiel,
Und ob die Welt in Trümmer fiel’,
Du wärst es, was mir bliebe,
Das Ein und Alles lebte doch,
Dich, meine Muse, säng’ ich noch,
Dich, ewig meine Liebe!“


Die Mehrzahl der Liebesgedichte trägt den Stempel des Selbsterlebten; meist sind es Erinnerungsblätter, die ein einst besessenes Glück wieder aufleben lassen. Doch der Schwerpunkt ruht auf den Gedichten, in denen die Weisheit des Alters, das Gedankenvolle, überwiegt. Sehr gehaltvoll sind die Epigramme, in denen weniger der scharfe als der milde Ton vorherrscht, und manches Gedicht in Distichen zeugt von tiefer Weltanschauung und ist bezeichnend im Ausdruck, von großer Treffsicherheit, ohne mit besonderer Künstlichkeit zugespitzte Pfeile zu wählen; andere wie „Im Fiebertraum“ haben wieder in freier rhythmischer Bewegung hinreißenden Odenschwung. Wie der Dichter aber auch noch immer den schlichten Volkston zu treffen und ihn mit innigstem Empfindungshauch zu beseelen vermag, das beweist das Gedicht „Selige Nacht“.

„O wie linde kommt die Nacht:
Ncbelglanz und Mondenstrahl
Hüllt dich ein, du liebes Thal,
Das uns heut’ so froh gemacht;
O wie linde kommt die Nacht!

O wie leise haucht die Nacht,
Die in Duft und Lichtgewand,
Bestes Herz und liebste Hand,
Ueber deinem Schlummer wacht;
O wie leise haucht die Nacht!

O wie süß verschwebt die Nacht:
Selig träumen ich und du
Schon dem neuen Tage zu,
Der uns morgen zugedacht;
O wie selig ist die Nacht!“

„Mit achtzig Jahren“ und noch in Reih’ und Glied mit den jungen Sängern – da kann man wohl dem Veteranen seinen Glückwunsch darbringen – und das wollen wir und das wird das deutsche Volk nicht versäumen! †      


Das Jubiläum der tiroler Freiheitskämpfe.

Von J. E. Platter.0 Mit Illustrationen von W. Humer.

Mit dem heurigen Jahre begann die Gedenkzeit der großen tiroler Freiheitskriege, welche Anno 1796 mit dem glücklich abgewehrten Franzoseneinfall in Südtirol ihren Anfang nahmen und erst nach vielen blutigen Kämpfen im Jahre 1813 ein glückliches Ende erreichten. In jenen Zeiten schwerer Bedrängnis haben die tiroler Schützen und Landsturmmänner in Sieg und Unglück zahlreiche neue Lorbeerblätter dem altererbten Ruhmeskranze eingefügt, und Heldenthaten, wie sie z. B. am Tage von Spinges, dann später im Jahre 1799 an der Schweizergrenze, ferner in den ersten Jahren unseres Jahrhunderts an verschiedenen Grenzpässen vollbracht wurden, sowie die Berg Isel-Schlachten von „Anno Neun“ und die Erstürmung der Mühlbacher Klause nebst den übrigen siegreichen Kämpfen des Jahres 1813 werden im Lande wohl ewig unvergeßlich bleiben. Nach altem tiroler Brauche hatte sich die Bevölkerung gleich zu Beginn der Freiheitskriege in religiöser Begeisterung, durch ein Gelöbnis zum Herzen Jesu, des göttlichen Beistandes versichert, und als nun die hundertjährige Gedenkzeit herannahte, so wurde der Jubiläumsfeier durch Erneuerung dieses Landesgelübdes zunächst ein mehr kirchlicher Charakter aufgeprägt und dementsprechend im Monat Juni in Bozen ein großes Herz Jesu-Fest veranstaltet. Die gleichzeitig geplante weltliche Jubiläumsfeier mußte wegen der durch Ableben des Erzherzogs Karl Ludwig im österreichischen Kaiserhause eingetretenen Familientrauer verschoben werden und hat nun in Form eines sehr schön verlaufenen tiroler Schützenfestes am 27. September in der Landeshauptstadt Innsbruck stattgefunden. Schon am Vortage hüllte sich die Stadt in reichen Fahnen- und Flaggenschmuck und von allen Seiten marschierten die Schützenkompagnien von Berg und Thal mit klingendem Spiele und fliegenden Fahnen in die Feststadt ein. Alle Eisenbahnzüge brachten neue Scharen, auf dem Landeshauptschießstande begannen die Stutzen zu knallen und allenthalben ertönte Musik und Gesang als Vorbeginn des mit

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 732. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0732.jpg&oldid=- (Version vom 5.5.2024)