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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

und die ,Fram’ verloren gehen sollte, was ich für unwahrscheinlich halte.“

Nansen und die Mannschaft der „Fram“.
Nach einer Photographie von Joh. v. d. Fehr in Bergen.

Und wie bald ward diese Zuversicht gerechtfertigt! Acht Tage nach Nansen langte am 20. August auch Kapitän Sverdrup mit dem Schiffe und der Mannschaft wohlbehalten in Nordnorwegen wieder an – ein ans Wunderbare grenzender glücklicher Zufall! Und vom Glück ist die Expedition stets begleitet gewesen, sonst wäre der beispiellose Erfolg nicht erzielt. Aber wir wollen damit nicht etwa das Verdienst des Leiters irgendwie schmälern; im Gegenteil steht uns dabei Goethes Ausspruch vor Augen:

„Wie sich Verdienst und Glück verketten,
Das fällt den Thoren niemals ein;
Wenn sie den Stein der Weisen hätten,
Der Weise mangelte dem Stein!“

Nansens Verdienst besteht aber ebensowohl in der Kühnheit des Planes als in der Kühnheit der Ausführung, die allen drohenden und erwarteten Gefahren durch geeignete Vorkehrungen zu begegnen weiß und vor keiner Schwierigkeit zurückschreckt. Es steckt in ihm das alte Nordmannenblut, das seine Freude hat am Kampfe mit der eisigen Natur der Polarwelt, wie es in den Tagen Erichs des Roten und seines Sohnes Leifs sich durch die erste Entdeckung Amerikas schon einen unsterblichen Namen gemacht hat. Wie Leifs ums Jahr 1000 n. Chr., unbekümmert um die bekannten Wege, die ihn mit seinem Vater von Island nach Grönland geführt hatten, sich – natürlich ohne Karten und Kompaß – von Westgrönland eine neue völlig dunkle Fahrbahn nach dem nordischen Stammlande suchte und zum erstenmal die ganze Breite des nordatlantischen Oceans durchsegelte, so suchte auch Nansen sich auf ganz neuem Wege dem Nordpol der Erde zu nähern. Und wenn er ihn auch nicht erreicht hat, so überragt doch seine Leistung alle bisherigen Heldenthaten arktischer Forschung und er kehrt, kaum 35 Jahre alt, als der bedeutendste Polarforscher unseres Jahrhunderts zurück.

Aber er ist trotz seiner Jugend kein Neuling mehr in der Polarwelt!

Schon in seinem 21. Jahre machte er seine erste Nordfahrt ins Eismeer und in lebhafter Erinnerung steht noch seine 1888 in einem Monate ausgeführte Durchquerung des Grönländischen Eishochlandes, bereits eine geographische Leistung ersten Ranges, die vor ihm noch keinem Forscher gelungen war.[1]

Und auch hier schon der Wagemut, beim Kampf mit dem Eise furchtlos alle Brücken hinter sich abzubrechen! Das Schiff „Jason“ hatte ihn mit seinen Begleitern bis auf 21/2 deutsche Meilen an die Ostküste von Grönland gebracht, von der er nur noch durch einen lockeren Gürtel von Treibeis getrennt war. Für den „Jason“ wäre es leicht gewesen, „durch das bißchen Eis hindurchzugehen“, allein Nansen glaubte, ohne das Schiff irgendwie einer Gefahr aussetzen zu wollen, allein in seinen Booten sich einen Weg bahnen zu können, und so „verließen wir,“ schreibt er in seinem offiziellen Bericht an den Etatsrat Gamel, „unter Kanonensalut und einem kräftigen Hurra der 60 Leute des ‚Jason‘ den letzten Anschluß an die zivilisierte Welt und lenkten unsere Boote ins Treibeis hinein, das uns nicht so billigen Kaufes, wie wir erwartet hatten, wieder loslassen sollte.“ Zwölf Tage währte der Kampf mit den Eisströmungen, ehe die kleine Expedition, die aus 6 Mann bestand – darunter Kapitän Sverdrup, der spätere Leiter der „Fram“ – ans Land kam. Es war diese schwierige Landung an der Ostküste Grönlands eine lehrreiche Vorschule für die spätere größere Unternehmung.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 653. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0653.jpg&oldid=- (Version vom 1.11.2021)
  1. Nähere biographische Angaben und das Porträt Nansens brachten wir bereits in Nr. 13 dieses Jahrgangs in dem Artikel „Nansens und Andrées Nordpolunternehmen“.