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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Nr. 38.   1896.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.


Die Geschwister.

Roman von Philipp Wengerhoff.


1.

„Lisbeth, putze doch noch den Kronleuchter blank, die Bronze sieht so blind aus! Was machst Du eigentlich jetzt da drinnen?“

„Ich reibe das Parkett auf, Mama,“ klang es durch die halbgeöffnete Thür zurück, „bin aber gleich fertig.“

„Schön,“ sagte die Frau Geheimrätin, „wir müssen uns auch eilen. Es ist schon elf Uhr. Papa wird bald zum Frühstück heraufkommen.“

„Der Frühstückstisch ist gedeckt und das Beefsteak für ihn steht hergerichtet. Sobald er sichtbar wird, kommt es schnell in die Pfanne. Ist Elfriede noch nicht aufgestanden?“

„O ja – aufgestanden wohl,“ antwortete die Mutter, stieg von der Trittleiter hinunter, auf der sie bis dahin gestanden, um leichter die hohe breitästige Palme, welche die Mitte des Blumentisches einnahm, abstäuben zu können, und guckte hinter die Gardine, welche in schweren Falten den Erker einrahmte.

„Du Faulpelz!“ sagte sie mit einem mehr zärtlichen als verweisenden Ton zu dem jungen Mädchen, welches aus der langhaarigen weißen Felldecke eines kleinen Diwans heraus in völligster Gemütsruhe die eifrige Mama anschaute, ohne ihre Stellung zu verändern. „Du Faulpelz, eben erst dem Bette entschlüpft, pflegst Du Dich nun hier weiter und wir müssen uns plagen!“

„Warum plagt ihr euch?“ kam es zurück, „dazu sind doch Dienstboten auf der Welt,“ und das Fräulein dehnte sich noch ein wenig, legte den Arm, von dem der weite Aermel des Morgenkleides zurückfiel, über den Kopf und senkte die langen Wimpern über die Augen, als beabsichtigte sie wirklich den Morgenschlaf hier fortzusetzen.

Die Mutter bestrebte sich, ein mißbilligendes Gesicht zu machen, dabei war sie aber von dem Anblick des jungen Geschöpfes so entzückt, daß die begonnene Strafpredigt in Vergessenheit geriet. Wie ein zierliches Kätzchen lag die Kleine hingeschmiegt: das dunkle Köpfchen hob sich reizend von dem silbergrauen Angorafell ab, ein himmelblaues Flanellkleid mit gelblichen Spitzen umfloß den schlanken Körper des Mädchens, dessen achtlos anmutige Stellung jedem Künstler zur Augenweide hätte dienen können. Warum mußte sie, die beglückte Mutter, allein den Anblick von so viel holdem Liebreiz genießen! Sie hätte ihn am liebsten mit aller Welt geteilt.

„Dienstboten!“ nahm sie nun endlich das letzte Wort auf, „ich möchte wohl wissen, wie weit die alte Hanne allein mit der großen Wohnung käme, wenn ich und Lisbeth es machten wie Du, faules Mädel!“

„Nun, das weiß ich sicher, ich an Deiner Stelle, Mama, thät’s nicht.“

„Du bist ein kindisches Geschöpf,“ ereiferte sich jetzt die Mama, „wenn ich das nicht dächte, würde

Erster Versuch.
Nach dem Gemälde von J. F. Engel.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 629. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0629.jpg&oldid=- (Version vom 14.7.2023)