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ihres Schlafes danach zu richten, in was für einer Verfassung ihr körperlicher und geistiger Zustand sich befindet, d. h. ob derselbe normal oder mehr oder minder geschwächt ist. … Wenn aber ihr Schlafbedürfnis auch noch so groß ist, so sollten sie sich womöglich dennoch nicht gestatten, mehr als zehn Stunden täglich dem Schlafe zu widmen. Nur bei sehr großer Schwäche dürfen sie bis zu zwölf Stunden täglich schlafen, jedoch nicht in einem Zuge, sondern mit einer Unterbrechung. Die Hauptschlafenszeit muß natürlich während der Nacht sein, eine kürzere am Nachmittag. Es darf nie vergessen werden, daß der Organismus sich auch an solche Dinge gewöhnen kann, die schädlich sind. … Schläft der Mensch länger, als es die Ruhe seines Körpers und Geistes und die Thätigkeit seiner vitalen Funktionen erfordern, so entsteht daraus erstens eine Abnahme der Körper- und Geisteskräfte aus Mangel an genügender Uebung, und zweitens gewöhnen sich die Organe an einen anormalen Zustand der Ernährung, wodurch ihre Bethätigung im wachen Zustande geschwächt wird. Künstliche Mittel zur Herbeiführung des Schlafes, die betäubender Natur sind, sollten grundsätzlich vermieden werden; denn sie sind Gifte, durch welche das Nervensystem völlig zerrüttet werden kann.

Die religiösen Stirnzeichen der Hindus. (Zu dem Bilde S. 597.) Was ist das erste, das der rechtgläubige Hindu thut, nachdem er sein rituelles Morgenbad mit den vorgeschriebenen Rücken-, Kopf- und Schultergüssen genommen hat? Er geht zu einem inmitten von Farbentöpfen nahe dem Badeplatz hockenden Brahminen, kauert vor ihm nieder und läßt sich von dem kunstfertigen Priester das ihm zukommende Stirnzeichen, das tilak oder nama, auf die Stirn schminken, auf daß jedermann wisse, wes Gottes Verehrer er sei. Doch nicht genug damit. Auch die in den Dienst der Tempel gestellten Zugtiere, die Elefanten, welche bei festlichen Umzügen die Götterbilder auf schwerfälligen Karren durch die staubigen oder kotigen Straßen schleppen, müssen allmorgendlich vor dem priesterlichen Maler niederknien, um ihren Stirnstempel zu erhalten, nachdem sie mittels Besen und faserigen Kokosnußschalen in der Schwemme gründlich abgeschrubbt wurden. Ja selbst leblose Kultusgeräte, die Wände und Thore der Tempel verkünden durch derartige Zeichen, welcher Gottheit die Stätte geweiht ist.

Von den 300 Millionen Bewohnern Vorderindiens sind etwa 250 Millionen brahminische Hindus. Diese stattliche Religionsgemeinde erkennt zwar Brahma als unbestrittenen Weltschöpfer an, zollt demselben aber als einem Gott, der seine Aufgabe erledigt hat, keine sonderliche Verehrung mehr und gliedert sich im Hinblick auf die beiden anderen Hauptgottheiten in zahlreiche Sekten, die entweder dem gütigen Welterhalter Wischnu oder dem auf Weltzerstörung bedachten Schiwa die höhere Machtstellung einräumen. Diese beiden Gottheiten treten aber ebenso wie ihre Gemahlinnen in vielfältigen Verkörpernngen unter ebensovielen verschiedenen Namen auf und um jede dieser „Incarnationen“ bildet sich eine Verehrergruppe, die dieser von ihr bevorzugten Lieblingsgottheit besonders kräftiges Beistehen in allen Lebensfragen zutraut. Da es außerdem nach der brahminischen Götterlehre noch die Kleinigkeit von 330 Millionen untergeordneter Gottheiten giebt, kann es nicht wunder nehmen, daß sich die beiden Heerlager der Wischnuiten und Schiwaïten aus fast zahllosen Fähnlein mit anders geformten Wappenbildern, will sagen Stirnzeichen, rekrutieren.

Ein Hindu, der „schlecht und recht“ dem guten Gotte Wischnu seine religiöse Verehrung zuwendet – wozu ihn natürlich keineswegs freie Ueberzeugung, sondern allein die in seiner Kaste seit Jahrtausenden herrschende Ansicht bestimmt – läßt sich vom Hausbrahminen, dem guru, oder bei Familienfesten von den nächsten Verwandten ein nama-Zeichen in Gestalt eines unten abgestumpften römischen V auf die Stirn malen. Auf unserem Bilde ziert es die Stirn des Elefanten und die des abseits stehenden Brahminen, der sofort an den fünf um seine linke Schulter gelegten heiligen Baumwollenfäden als Priester erkennbar ist.

Dies Wischnuzeichen deuten verschiedene Sekten verschieden; die einen erklären es als Abdruck beider Füße des Gottes, andere begnügen sich, darunter nur einen Fußtritt desselben zu verstehen u. s. w. Durch verschiedene Länge und Neigungswinkel beider Seitenlinien dieses Stirnzeichens, durch fehlende, verzierte oder geradlinige Verbindung derselben drücken die Wischnuiten die verschiedenen Verklausulierungen ihrer Anerkennung Wischnus aus. Will z. B. der Inhaber eines solchen Zeichens zu verstehen geben, daß seine Hochachtung sich in gleichem Maße auf die bessere Hälfte dieses „guten“ Gottes erstreckt, d. h. auf die liebevolle Göttin Lakschmi, so erhält das Zeichen noch eine Mittellinie und ähnelt dann einer Heugabel \|/ Der rechtgläubige Hindu malt diese galante Aufmerksamkeit als brennend rote Linie, während das eigentliche Wischnutilak in schneeweißer Farbe leuchtet. Gemischt wird diese Farbe aus stark deckendem mineralischen Weiß, aus gebräunten „Opfermuscheln“ (turbinella rapa), aus Asche verbrannten Düngers von heiligen Kühen und aus wohlriechendem Sandelholzpulver.

Eine andere Sekte dieser Wischnu-Anhänger, die Ramavat-Sadhus, zeigt durch Bemalung ihres ganzen Körpers mit den Attributen des Gottes, mit Lotosblumen, Opfermuscheln, Schleudern und Keulen an, daß sie die von Wischnu in seiner Menschwerdung als Dämonentöter Rama bewiesenen heldenhaften Eigenschaften ganz besonders hochschätzt und zu würdigen weiß.

Begreiflicherweise zahlt der Schreckensgott Schiwa weit mehr opferbereite Anhänger als der milde Wischnu; ihm huldigen zumeist jene berüchtigten religiösen Bettler und Büßer, die Yogis, Sanyasis, Bairagis, Agoris u. s. w. Diese Schiwaïten malen ihr tilak in Gestalt dreier dicker weißer horizontaler Linien auf die Stirn, ja wenn sie in religiösen Dingen zu der äußersten Rechten gehören, auch auf Oberarme, Brust und Leib. Kommt ein derartig wie mit weißen Rippen bemalter dunkelhäutiger Ehrenmann aus der Ferne heran, so vermeint man erschreckt, ein Gespenst, ein wanderndes Gerippe zu sehen, zu dem der in der Regel fanatische Ausdruck des ausgemergelten Schiwaïtengesichtes ganz vortrefflich paßt. Den auf unserem Bilde dargestellten Elefanten habe ich in dem Augenblick photographiert, als er, mit seinem Mittagsmahl beladen, zu seinem gewöhnlichen Standplatz zurückschritt, der sich in der Tausendpfeilerhalle, dem Mandapan, des uralten Wallfahrtstempels zu Seringam befand. Dr. K. Boeck.     

Die Kreuzotter als Hungerkünstlerin. Die Menschen können nur kurze Zeit ohne Nahrung bestehen, selbst die geübtesten Hungerkünstler bringen es nur einige Wochen lang fertig; vielfach ist noch dazu ihr „Fasten“ keineswegs ein wirkliches, sondern läuft auf Betrug hinaus. Gleich dem Menschen vertragen alle warmblütigen Tiere den Hunger schlecht; der Stoffwechsel ist bei ihnen lebhaft und der Körper verlangt raschen Ersatz der verbrauchten Nahrungsstoffe. Anders verhalten sich die kaltblütigen Tiere, bei denen die Lebensfunktionen sich träger abwickeln. Sie können monatelang hungern; ja manche von ihnen, wie z. B. einige Schlangen, fressen nur etwa dreimal im Jahre und leben und wachsen dabei. Terrarienbesitzcr haben oft Gelegenheit, dieses Verhalten der Kriechtiere und Lurche zu beobachten. Die Kreuzotter verweigert z. B. fast regelmäßig in der Gefangenschaft jede Nahrungsaufnahme und bleibt dabei doch lange am Leben. Jüngst machte mit ihr der französische Naturforscher J. Vignard folgende Erfahrung: Eine gefangene Kreuzotter verweigerte jede Aufnahme fester Nahrung und lebte trotzdem 464 Tage. Am Anfang dieser Beobachtung wog sie 26 g, unmittetbar nach dem Tode 23,5 g. In der Zeit hatte sie sich einmal gehäutet und die abgestoßene Haut wog 1,20 g. Die Hungerkünstlerin war also in der Zeit von fünf Vierteljahren nur um 1,30 g abgemagert!

Das Engadin in Bild und Wort. Im südöstlichen Winkel des Kantons Graubünden liegt das Engadin, eines der namhaftesten und schönsten Längenthäler im Alpengebiet. Berühmt ist es weit und breit durch gewaltige Bergriesen, wundervolle Seen, blumige Wiesengründe, schattige Wälder und weite Gletscher mit blinkenden Eisfeldern. Dabei ist es von der Natur mit einem günstigen Klima ausgestattet und seinem Boden entspringen mehrere Heilquellen, unter denen die von St. Moritz, Tarasp und Schuls sich eines besonderen Rufes erfreuen. Wiederholt hat die „Gartenlaube“ ihren Lesern Bilder aus dieser herrlichen Gebirgsgegend vorgeführt, welche im Sommer, und in St. Moritz auch im Winter, von zahlreichen Kurgästen und Touristen aufgesucht wird. Heute möchten wir die Alpenfreunde unter unseren Lesern auf ein neues Buch hinweisen, das ein prächtiges Gesamtbild jenes Thales vor unseren Augen entrollt. Es ist dies „Das Engadin in Bild und Wort“ von M. Cawiezel (Verlag von Simon Tanner, Samaden). Ueberaus reichhaltig illustriert, giebt es treffliche Auskunft über die Natur des Landes, über die Gestaltung der Berge und Thäler, über Tier- und Pflanzenleben; es macht uns vertraut mit dem Engadiner Volksleben und führt uns ein in das bunte Treiben, das sich in den Bädern entfaltet. Das Buch ist kein trockner „Führer“, berücksichtigt aber doch die moderne Touristik. Jedem, der ins Engadin reisen will, bietet es die beste Auskunft und für jeden, der das herrliche Land besucht hat, wird es ein schönes Erinnerungsalbum bilden.

Lohengrin und Elsa am Hochzeitsabend. (Zu dem Bilde S. 601.) Der Brautchor ist verhallt, an Stelle der erloschenen Hochzeitsfackeln tritt das Mondeslicht und strömt mit dem Rosenduft des Gartens vereint in das Brautgemach, wo Lohengrin und Elsa dem stillen Abend des lauten Tages selig entgegensehen. „Wir sind allein, zum erstenmal allein,“ tönt es von des geheimnisvollen Gralsritters Lippen, und jedes Herz in dem weiten Theaterraum fühlt den sehnsüchtigen, berauschenden Zauber dieser Musik, vergißt, daß nur Schein da oben waltet, und erlebt alles mit: den mystisch leidenschaftlichen Ueberschwang der Liebe, die hier eine so gewaltig ergreifende Sprache in Tönen redet, das Nahen des Verhängnisses, vergebliches Warnen und Flehen, endlich – das Schicksalswort und den jähen Zusammenbruch des goldenen Glückstraumes in Nacht und Tod … Kein Wunder, daß auch die bildende Kunst diesen poesieerfüllten dritten Akt von Wagners „Lohengrin“ mit Vorliebe zum Gegenstand wählt und sich bemüht, die beiden Idealgestalten so hoch über der gemeinen Wirklichkeit darzustellen, wie Wagner sie mit dem geistigen Auge sah. Bn.     

Die Teilung Afrikas. Die Völker Europas haben den Dunklen Weltteil unter sich geteilt. Das größte Gebiet ist Frankreich zugefallen; es umfaßt 9 600 000 qkm und wird von etwa 35 Millionen Eingeborenen bewohnt. Weite Ländereien dieses Gebietes bestehen jedoch in wüsten Strecken der Sahara; England hat dagegen den besseren Teil erwählt; es besitzt nur 5 Millionen qkm, dieselben weisen aber eine Bevölkerung von etwa 38 Millionen auf. Der Kongostaat erstreckt sich über ein Territorium von 2 600 000 qkm und soll von etwa 20 Millionen Menschen bewohnt sein. Der deutsche Besitz in Afrika beträgt etwa 2 800 000 qkm mit 8 650 000 Einwohnern. Darauf folgen Portugal, Egypten, Italien, die Türkei und Spanien mit geringerem Besitz. Abgesehen von den barbarischen Reichen im Sudan, giebt es Afrika vier unabhängige Staaten: das Kaiserreich Marokko, die kleine Republik Liberia, die südafrikanische Republik (Transvaal) und den Oranje-Freistaat. *      


Inhalt: Der laufende Berg. Ein Hochlandsroman von Ludwig Ganghofer (12. Fortsetzung). S. 597. – Elefant in Vorderindien mit religiösem Stirnstempel. Bild. S. 597. – Fritz Reuters Briefe an seine Braut. Nach den Originalen im Nachlaß der Witwe. Erläutert von Johannes Proelß. (1. Fortsetzung). S. 600. – Lohengrin und Elsa am Hochzeitsabend. Bild. S. 601. – Ein deutscher Fürst. S. 604. Mit Bildnis S. 605. – Aus der Hohen Tatra. Von Johannes Schmal. S. 605. Mit Abbildungen S. 606, 607, 608 und 609. – Jocko. Humoristische Erzählung von Joachim v. Dürow (Fortsetzung). S. 608. – Blätter und Blüten: Wie lange soll der Mensch schlafen? S. 611. – Die religiösen Stirnzeichen der Hindus. Von Dr. K. Boeck. S. 612. (Zu dem Bilde S. 597.) – Die Kreuzotter als Hungerkünstlerin. S. 612. – Das Engadin in Bild und Wort. S. 612. – Lohengrin und Elsa am Hochzeitsabend. S. 612. (Zu dem Bilde S. 601.) – Die Teilung Afrikas. S. 612.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart. 0Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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