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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

„Ich weiß net!“ Es zuckte um Karlin’s Lippen. „Bei der Arbeit wird er sein … denk’ ich mir …“ Sie konnte nicht weiter sprechen und wandte sich zu Vroni.

Schweigend legte das Mädchen den Arm um Karlin’s Hals und schmiegte die Wange an das Gesicht der jungen Frau.

„Da kommt der Mathes auch!“ sagte Karlin’ mit schwankender Stimme. Sie machte sich von den Armen des Mädchens los, und während Vroni den Vater zum Hofthor hinauszog, ging Karlin’ auf Mathes zu und reichte ihm die beiden Hände.

„Vergeltsgott! ……… Vergeltsgott!“

Mathes erschrak, als er sie ansah. „Aber Linerl! Um Gottswillen, wie stehst denn da! Hast ja kein’ trocknen Faden mehr am Leib! Mußt Dir ja was holen bei so einer Kälten! Ich bitt’ Dich um Christi willen, geh doch ’nauf und thu Dich umg’wanden!“

„Ja, Mathes, ja, gleich geh’ ich ’nauf; bloß auf Dich hab’ ich noch gewart’, daß ich Dir Dein Vergeltsgott sagen kann … schau, ’s erste Wörtl nach so viel’ Jahr’!“ Sie drückte seine Hände und sah ihm in die Augen.

„Aber geh, Linerl! Ein Vergeltsgott? Mir? Das braucht’s ja doch net! … Schau nur an, wie der Wind herblast! Du mußt Dir ja was holen! Ich bitt’ Dich, geh ’nauf! … Und schau, es pressiert mir ja selber, daß ich heimkomm’! … B’hüt Dich Gott wieder, Linerl!“

„B’hüt Dich Gott!“ Lächelnd und mit nassen Augen nickte sie zu ihm auf, strich die losen Härchen hinters Ohr und ging der Hausthür zu. Auf halbem Wege kehrte sie um und rief: „Mathes! …. Die heutige Nacht vergiß ich Dir mein Leben nimmer! Vergeltsgott, Mathes!“

Er stand schon unter dem Thor. „Aber geh!“ sagte er, zog verlegen die Schultern auf und schob die Hände in die Joppentaschen, als ob er irgend etwas zu suchen hätte. Dann lächelte er und trat auf die Straße hinaus.

„Komm, Bub!“ sagte der Simmerauer, der auf ihn gewartet hatte. „Schauen wir, daß wir heimkommen! … Mein Gott, wie wird’s droben ausschauen!“

„Gut, Vater! Schau her …“ Mathes stampfte mit dem Fuß, daß die harte Erde klang, „der Boden is fest g’froren … und den thaut sobald kein’ Sonn’ nimmer auf! Heut noch, mein’ ich, fallt der Schnee! Und da haben wir gute Zeit, Vater!“

„Ja, kannst recht haben! … Aber die Angst, die d’Mutter heut’ in der Nacht ausg’standen haben muß, so allein in dem Häusl da droben! … Komm, Bub! Machen wir uns auf d’Füß’!“

„Ja! Aber wo is denn d’ Vroni?“

„Sie kommt gleich nach! Ein Sprüngl hat s’ ins Ort ’nein g’macht, nachschauen, wie’s der armen Bäckin geht.“

„Der Bäckin? … So so?“ Mathes nickte und spähte gegen die Daxen-Schmiede hinüber.

Während sie mit raschen Schritten dem Gehäng des laufenden Berges zustrebten, jammerte der Simmerauer: „Das arme Weiberleut! Die hat’s aber hart ’troffen in der heutigen Nacht! Alles verlieren müssen! Und ’s Häusl dazu! So ein schön’s Häusl! Völlig erbarmen thut s’ mich, ja! Und was soll s’ denn machen auf ihre alten Tag’? Sie hat ja kein’ Menschen net, als den Luftikus, den Daxen-Schorschl, der sich selber net erhalten kann! Mein Gott, mein Gott, die arme Frau!“

Als sie in der kalten Morgendämmerung über den ersten Wiesenhügel emporstiegen, blieb Mathes stehen und blickte nach dem Purtschellerhof zurück. Dünner Rauch, der zuweilen aussetzte, kräuselte sich noch über das Hausdach empor; doch nur ein scharfes Auge konnte ihn unterscheiden, denn er verschmolz beinahe mit der grauen, dunstigen Morgenluft zu einem einzigen Ton.

Der Hofraum, von welchem Mathes einen Teil überblicken konnte, war leer – Karlin’ hatte das Haus schon längst betreten.

Im oberen Stock des Purtschellerhofes, in der Wohnstube, hatten die Fenster noch roten Lichtschein. Jetzt verschwand er – Karlin’ hatte die Hängelampe ausgelöscht, welche sie brennend vorgefunden.

Erschöpft und zitternd stand die junge Frau am Tisch, starrte kopfschüttelnd die drei geleerten Weinflaschen an und sah in dem von Cigarrenrauch und Lampenqualm erfüllten Raum umher, mit so verlorenem Blick, als wäre sie in einer fremden Stube und wüßte nicht, durch welchen Irrtum sie hierhergekommen.

Ein Schauer befiel sie. Mit langsamen Händen strich sie an den nassen Kleidern hinunter, die ihr halb gefroren am Körper klebten, nickte vor sich hin und murmelte: „Ja, der Mathes hat recht, ich muß mich umg’wanden!“

Sie trat in die Schlafkammer, und da sah sie ihren Mann in der Feuerwehruniform und mit den Stiefeln auf dem Bett liegen. Als die Thüre ging, erwachte er halb aus seinem Dusel, seufzte schwer und drehte sich auf die Seite. Karlin’ wollte zu ihm gehen, aber ihr Schritt stockte, als wären ihr die Füße auf den Dielen angewachsen. Doch gewaltsam überwand sie dieses Widerstreben, ging auf das Lager zu und faßte die Hand ihres Mannes.

„Toni!“

„Geh, laß mich schlafen!“ brummte er und zog die Hand zurück. „Wie Blei liegt’s mir in alle Glieder!“ Dann richtete er halb den Kopf in die Höhe, blickte sie mit verschwommenen Augen an, und während er sprach, spürte Karlin’ den Geruch des Weines. „Wie schaut’s denn aus drunten?“

„’s Feuer is g’löscht, und die Leut’ sind fort.“

„Hast Dich bedankt bei die Leut’?“

„Ja!“

„Hast ein’ Wein oder Bier aufstellen lassen und Cigarren hergeben?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Du denkst aber auch an gar nix! Alles liegt auf mir! Alles!“ Wieder seufzte er und drückte den schweren Kopf in die Kissen. „Mit Dir is einer aufg’richt’, ja, das muß ich sagen!“

Wortlos wandte sich Karlin’ ab, ging zum Kasten und nahm heraus, was sie an Wäsche und Kleidern brauchte.

Als sie zur Thüre wollte, fragte Purtscheller unwillig: „Wohin denn schon wieder?“

„Zu meinem Kind!“

Karlin’s Stimme klang verändert. Und dieser fremde Klang schien auch ihrem Manne aufzufallen, trotz seines Dusels; er stierte sie an, als stünde nicht seine Frau, sondern eine andere vor ihm, die er noch nie gesehen hatte.

„Ich bitt’ Dich, mach’ mir jetzt keine so närrischen G’schichten!“ murrte er. „Was hast denn?“

Ohne zu antworten, verließ Karlin’ die Kammer. In der Stube kleidete sie sich um. Dann stieg sie die Treppe hinunter und verließ das Haus, wie eine Träumende, immer an der Mauer sich forttastend. Im Garten blieb sie stehen und atmete auf. Nun ging sie raschen Schrittes über die Straße und trat ins Nachbarhaus.

In einer niederen, behaglich durchwärmten Stube, durch deren kleine Fenster schüchtern das erste weiße Licht des Tages schimmerte, fand Karlin’ die alte Bäuerin in einem Lehnstuhl neben dem Ledersofa, auf welchem dem kleinen Tonerl mit geblumten Kissen ein wohliges lindes Bettchen hergerichtet war. Das Kind hatte rote Wangen, und ruhig gingen seine Atemzüge.

„Schauen S’ nur, wie gut er schlaft!“ flüsterte die Bäuerin. „Und guter Schlaf is Kinderglück! Da übertaucht so ein Hascherl alles und kann noch lachen dazu!“ Sie erhob sich, um ihren Platz der Mutter einzuräumen.

„Vergeltsgott, Nachbarin!“ sagte Karlin’ und drückte die Hände der alten Frau. Ihre Augen füllten sich mit Thränen, während sie sich über die Kissen beugte und mit sachter Hand die dünnen Löckchen ihres Kindes streichelte. Die Bäuerin wollte von dem Unglück der Nacht zu reden beginnen, aber Karlin’ blickte flehend zu ihr auf und lispelte: „Ich bitt’ schön, Nachbarin, reden wir lieber net … ’s Kindl könnt’ aufwachen!“ Sie ließ sich müde in den Lehnstuhl sinken. „Und gelt, ich darf schon noch ein bißl bleiben … daherin is so schön still und warm … und das thut mir so wohl! Gelt, ich kann ein bißl bleiben?“

„Aber ja, Purtschellerin! So lang’, wie S’ mögen! … Natürlich, so die ganze Nacht bei’m eiskalten Wasser! So was geht ins Blut! Ja! Und da sollten S’ halt jetzt ein bißl was zum Auffrischen kriegen? Oder net? Was meinen S’ denn, wenn ich ein’ recht ein’ guten Kaffee machen thät’? Ja?“

„Ich bitt’ schön, Nachbarin … aber sein muß ’s net!“

„Aber ja! Aber freilich! Auf der Stell’!“ Und geschäftig humpelte die alte Frau zur Thüre hinaus.

Karlin’ wollte das kleine Händchen ihres Knaben fassen, das aus den Kissen hervorlugte – und da hauchte sie zuerst ihre Finger an, damit sie nicht so kalt wären. Nun saß sie regungslos, in tiefen Zügen atmend, den Kopf zurückgesunken in den Lehnenwinkel des Sessels. Vom nahen Ofen, in dem das Feuer knisterte, strömte die Wärme an ihren Körper und in ihr Gesicht. Das

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 598. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0598.jpg&oldid=- (Version vom 25.7.2023)