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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Nr. 36.   1896.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.


Der laufende Berg.

Ein Hochlandsroman von Ludwig Ganghofer.

     (12. Fortsetzung.)

Mathes hatte im ersten Augenblick den Umfang der Gefahr auf dem Purtschellerhofe richtig erkannt: die in Brand geratene Scheune mußte man verloren geben, sie war vom Boden bis unter das Dach mit Getreidegarben angefüllt, und die brannten weg wie mürber Zunder; gegen dieses hastig fressende Feuer war nicht mehr anzukämpfen und es kostete schwere Arbeit genug, um wenigstens die umliegenden Wirtschaftsgebäude und die Ställe gegen den Anflug der Flammen zu schützen. Als dieses Rettungswerk in eifrigem und wirksam fortschreitendem Gange war, machte sich Mathes daran, das Vieh, das sich unter ohrbetäubendem Gebrüll in den Ketten würgte, aus seiner Qual und Angst zu erlösen. Er suchte sich die kräftigsten Bursche und Knechte aus, damit sie ihm bei diesem harten Stück Arbeit behilflich wären. Jedes einzelne Stück Vieh mußte gewaltsam aus dem Stall geführt und in einem entlegenen Teil des Gartens angepflöckt werden, denn die vom Lärm und Feuer scheu gemachten Tiere würden sich in sinnloser Flucht so weit verlaufen haben, daß man sie wohl in Wochen nicht mehr zusammengefunden hätte. Als das letzte Stück Vieh und alle Pferde in Sicherheit gebracht waren, kehrte Mathes in den Hof zurück und stellte sich an die Pumpe. All’ die anderen, die an seiner Seite arbeiteten und den Spritzenschwengel zogen, ließen sich von Zeit zu Zeit ablösen – nur Mathes nicht.

Als es gegen die fünfte Morgenstunde ging und der Tag schon matt zu grauen begann, war alle Gefahr überwunden und die Scheune in Asche und glimmende Kohlen zerfallen, deren letzte Glut der zischende Wasserstrahl der Pumpe leicht erstickte. Nun konnte die Spritze hinüberfahren zum Bäckenhaus, um auch dort die versinkenden Flammen vollends zu löschen.

Mit durchnäßten Kleidern, an denen kaum ein Faden mehr trocken war, und zitternd vor Erschöpfung und Kälte, stand Karlin’, als die Leute sich entfernten, unter dem Hofthor; und jedem, der hinausging, reichte sie die Hand. „Vergeltsgott, Nachbar! … Vergeltsgott, Bub! … Vergeltsgott, Mad’l! Hast Dich auch noch plagen müssen!“ Und jedes, dem sie ihr „Vergeltsgott“ sagte, hatte ein freundlich tröstendes Wort für sie. So deutlich, wie in dieser Stunde, hatte es Karlin’ noch nie gemerkt, wie gut ihr alle Leute waren. Diese Erkenntnis that ihr wohl und hauchte ein bißchen Wärme auf ihre bleichen, erschöpften Wangen.

Der Hofraum leerte sich. Nur Purtschellers Dienstleute waren noch bei der Arbeit, um die Pferde und das Vieh in die Ställe zurückzuführen, und der alte Simmerauer mit seinen Kindern half ihnen dabei. Dann konnten auch diese letzten gehen. Karlin’ wartete beim Hofthor, bis sie kamen, und reichte dem Alten die Hand. „Vergeltsgott, Michel! Tausendmal Vergeltsgott. Hast selber die härteste Sorg’ daheim und bist dengerst ’kommen!“

„Wär’ net übel, Frau Purtschellerin, wenn der Mensch kein’ Zeit net übrig hätt’ für sein’ bedrängten Nachbar!“ Der Alte streichelte Karlin’s Hand. „In der Not muß man z’samm’helfen, ja! Der gute Herr Purtscheller hat mir ja auch sein’ Hilf’ an’boten! … Wo is er denn? Daß ich ihm d’ Hand drucken kann?“

Elefant in Vorderindien mit religiösem Stirnstempel.
Nach einer Originalphotographie von Dr. K. Boeck in Berchtesgaden.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 597. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0597.jpg&oldid=- (Version vom 4.5.2024)