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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Dieser Spott war mehr als Schorschl vertragen konnte. „So! Net schlecht! So spielst Dich Du mit mir! … B’hüt’ Dich Gott, Du! … Morgen kannst mich suchen lassen im tiefsten Graben! … B’hüt Dich Gott, Du!“

Jetzt brauchte er kein Geräusch mehr zu scheuen. Mit plumpsenden Tritten stolperte er über den Hof gegen die Böschung. Als er droben auf der Wiese stand, blickte er zurück nach dem stillen Haus und lachte vor sich hin – mit einer Wut, bei der ihm die Thränen über die Backen liefen.

„Ins Wasser springen? … Wegen so einer? Ah na! Jetzt bleib’ ich grad’ am Leben! Grad’ mit Fleiß! Und so was von lumpen, wie ich jetzt anfang’, so was hat’s noch nie net ’geben! Und anschauen soll sie ’s müssen! Anschauen! Und soll sich sagen müssen alle Tag: ‚Den hab’ ich auf ’m G’wissen!‘ … Wart’, Du!“

Und damit sie auch gleich wüßte, welch einen edlen Vorsatz er in seinem Rachedurst gefaßt hätte, setzte er die Trompete an den Mund und blies mit gereizten, häufig überkippenden Tönen in die schwarze Nacht hinaus:

„O Du lieber Augustin,
’s Geld is hin
Alles is hin!
Hätt’ ich nur ’s Madl beim Kragen
Wollt’ ich noch gar nix sagen …“

Mit einem grellen Mißton brach er die Weise ab.

„Was? So ein’ Wunsch sollt’ ich noch haben? … Ah na! Da muß ich ihr schon was anders blasen!“

Wieder setzte er die Trompete an, und schmetternd klang es durch die Finsternis:

„Der Graf von Luxemburg
Hat all sein Geld verjuckt juckt juckt,
Der Graf von Luxemburg
Hat all sein Geld verjuckt!
Hat hunderttausend Tha-aler
In einer Nacht verjuckt juckt juckt …
Der Graf von Luxemburg
Hat all sein Geld verjuckt!
Tütüüüh!“

Das war das schönste hohe C, welches Schorschl noch je geblasen hatte.

„So! Und jetzt kann meintwegen alles hin sein!“

Mit wütendem Schwung schleuderte er die Trompete in die Nacht hinaus. Sie flog so weit, daß er sie gar nicht fallen hörte.

Aber etwas anderes hörte er – das Klirren eines Fensters und Mutter Katherls erregte Stimme: „So was is aber doch ein bißl gar z’ arg! Müde Leut’ aus der Ruh’ aufschrecken! Du Tagdieb, Du gottssträflicher!“

„Tagdieb? Was, Tagdieb!“ schrie Schorschl mit zornigem Lachen zurück. „Es is ja net Tag … es is ja Nacht! Und Dein Katzerl kann Dir von ein’ andern Dieb g’stohlen werden … vor mir hat’s Ruh’!“

Die Fäuste in die Hosentaschen bohrend, stürmte er über die Wiesen hinauf, ohne sich weiter um die zweifelhaften Schmeicheleien zu kümmern, welche Mutter Katherl und der aus seinem Schlummer aufgestörte Simmerauer hinter ihm herriefen.

Wohin er wollte, wußte er eigentlich selbst nicht; er stolperte bergauf und immer bergauf, bis er kopfüber in eine Erdschrunde des laufenden Berges purzelte. Dieser Sturz brachte ihn aus seinem blinden Grübeln zu klarer Besinnung – und nach all dem verrauchten Zorn befiel ihn eine namenlose Traurigkeit. Dazu schmerzten ihn alle Glieder von dem harten Fall. Mühsam schleppte er sich weiter bis zum Purtschellerwald. Hier wußte er eine Holzerhütte. Aber bei solcher Finsternis war sie schwer zu finden – und das setzte Püffe und Beulen an Ellbogen, Knieen und Stirne, bis er endlich unter dem niederen Rindendach geborgen war. Seufzend streckte er sich auf die harte Holzpritsche nieder und verschlang die Hände unter dem Nacken. Anfangs spürte er die Kälte nicht, denn wie ein siedheißes Bächlein rollte ihm das erregte Blut durch die Adern. Alle paar Minuten hörte er ein dumpfes Krachen im Wald – und dabei hatte er den christlichen Gedanken: „Wenn nur der Berg heut’ nacht den ganzen Wald einschlucken möcht’ … und mich als Pfefferkörndl auf ’m Butterbrot!“

(Fortsetzung folgt.)


Nachdruck verboten.
Alle Rechte vorbehalten.

Die friesischen „Schlickrutscher“.

In Wort und Bild geschildert von Schulte vom Brühl.

Dangaster Fischerhütte.

Es ist still geworden im Reich von den deutschen Friesen und ihren Thaten. Gemächlich sitzen heutzutage die Nachkommen der alten Stedinger, der Wangerer, Harlinger, der Ostringer, Rustringer und Butjadinger auf den fetten Marschen an der Weser, am Jadebusen und am Dollart, züchten schweres Rindvieh und die berühmten oldenburgischen Pferde, und die Getreuen in Jever senden dem großen Alten im Sachsenwald alljährlich die 101 Eier-Erstlinge, die der ihren Weiden so charakteristische Kiebitz, der freundliche Vogel „Kywitt“, extra für ihn legt. Vätersitte und Väterstärke, Ausdauer und Stetigkeit sind dem Stamm treu geblieben, und lebendig auch ist den Friesen die ruhmreiche Tradition ihres Volkes, das schon in grauer Vorzeit angewiesen war auf den Kampf mit dem tückischen Element, auf die Erwehrung der räuberischen Dänen und Normannen, auf die Abwehr benachbarter Fürsten, welche die selbstherrlichen „eddelfreen Vresen“ unter ihre Botmäßigkeit zu bringen trachteten.

Die alten Friesen, die ursprünglich an den Küsten zwischen Ems und Rhein saßen, hatten sich nach und nach bis nördlich an die Eider ausgebreitet. Die in schweren Kämpfen mit den Nachbarstämmen errungenen Uferstrecken waren freilich kein Land, darinnen Milch und Honig floß, und nur ein armseliges Leben konnten die unbedeichten Marschgegenden und Geest-(d. h. Dünen-, Sand-)Landschaften gewähren.

„Zweimal schwillt hier,“ erzählte bereits der römische Schriftsteller Plinius der Aeltere, „in einer Tages- und Nachtlänge der ungeheure Ocean auf und sinkt. Zweifeln möchte man bei diesem ewigen Kampf der Natur, ob es Land sei oder Meer, was man sieht. Hier und da ragen von der Natur aufgeworfene Hügel (heute ‚Wurten‘ genannt) hervor, welche Menschenhände nach den Erfahrungen der höchsten Fluten noch erhöhten. Auf diesen wohnt das ärmliche Volk in Hütten. Umringt von der Flut, sind diese Menschen Schwimmenden und, fällt das Wasser, Schiffenden gleich. Zu ihrer Nahrung haben sie weder Vieh noch Milch. Auch die Beute der Jagd fehlt in diesen Gegenden, wo kein Gesträuch gedeiht. Dürftig ist selbst der Fischfang. Aus Binsen flechten sie ihre Netze, worin sie die mit dem Wasser zurückeilenden Fische fangen. Um ihre Speise zu kochen und die von der Kälte starrenden Glieder zu erwärmen, trocknen sie, am Winde mehr als an der Sonne, hervorgeholten Schlamm und brennen ihn. In Gruben vor ihren Hütten fangen sie das Regenwasser auf und dies ist ihr einziges Getränk.“

Merkwürdig, wie manches von dieser Schilderung, die der alte Römer vor fast 1800 Jahren nach den Berichten anderer Schriftsteller entwarf, noch bis in die neuere Zeit, ja, bis in unsere

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 554. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0554.jpg&oldid=- (Version vom 19.7.2023)