Seite:Die Gartenlaube (1896) 0508.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Die Marskanäle.

Ein Beitrag zur Frage über die Bewohnbarkeit der Planeten.
Von Dr. H. J. Klein.


Die Frage, ob jenseit unserer Erde auf anderen Planeten lebende und vernunftbegabte Wesen vorhanden sind, ist seit jeher von zahllosen Menschen aufgeworfen und aus den verschiedensten Gründen bald bejahend bald verneinend beantwortet worden.

Die Einen glauben, unsere Erde habe allein den Vorzug, ein Wohnplatz vernünftiger Wesen zu sein, und sie führen dafür Gründe an, welche aus der Lage unseres Planeten im Sonnensystem hergenommen sind und wonach sich in der That eine bevorzugte Stellung der Erde im Weltall ergiebt. Diese letztere ist nämlich nicht so nahe bei der Sonne, daß deren Glut der Entwicklung organischen Lebens hemmend entgegentreten kann, wie solches z. B. auf dem Planeten Merkur aller Wahrscheinlichkeit nach der Fall ist; anderseits befindet sich wiederum die Sonne nicht so weit von uns ab wie etwa vom Planeten Saturn, dem sie kaum mehr als ein Prozent der Wärme und des Lichts spendet, welche die Erde thatsächlich empfängt. Dazu kommt, daß letztere auch in der Stellung ihrer Achse und der Dauer ihrer Umdrehung Zustände aufweist, die das Gedeihen organischen Lebens in hohem Grade begünstigen, und schließlich besitzt unser Planet eine ziemlich dichte Atmosphäre und erhebliche Wassermengen, wie solche ganz bestimmt auf mehreren anderen Weltkörpern nicht vorhanden sind. Das sind in der That Vorzüge unserer Erde, die vereinigt bei keinem andern Planeten angetroffen werden.

Dagegen stützen sich die, welche die Bewohntheit auch der übrigen Planeten behaupten, darauf, daß ein besonderer Grund, weshalb die Erde allein den Vorzug, denkende Wesen zu beherbergen, besitzen solle, gar nicht aufzuweisen sei. Sie sagen, daß von der gesamten Wärme, welche die Sonne ununterbrochen aussendet, der Erde nur der zwanzigmillionste Teil von einem einzigen Prozent zu teil wird, also die ganze ausgestrahlte Sonnenwärme fast nutzlos in den Raum verstrahlen würde, wenn die Erleuchtung und Erwärmung der Erde ihre einzige Aufgabe wäre. Diese Wärme, sagen sie weiter, ist zum Gedeihen der Organismen unbedingt nötig, daher sei anzunehmen, daß es auch außerhalb der Erde organische Wesen giebt, denen sie zu gute kommt. Ferner weisen sie darauf hin, daß es ungereimt wäre, anzunehmen, alle jene Milliarden von Weltkörpern seien nur als tote, öde Kugeln vorhanden, vielmehr sei es der Weisheit des Schöpfers angemessen, auch in andern Teilen des Weltraumes vernunftbegabte Wesen in zahlreichen Welten erschaffen und angesiedelt zu haben.

Einer der bedeutendsten neueren Astronomen, Simon Newcomb, hat sich in der Frage nach der Mehrheit bewohnter Welten dahin ausgesprochen, daß nur eine verhältnismäßig sehr geringe Anzahl von Planeten mit vernünftigen Wesen bevölkert sei, darunter könnten freilich auch solche sein, welche uns Menschen in geistiger Beziehung weit überragten. Indessen beschränkt Newcomb diese Wahrscheinlichkeit insofern wieder, als er die Bewohntheit solcher Weltkörper nur während einer gewissen Periode ihrer Existenz zuläßt. Unsere Erde, die als solche sich gewiß seit mehr als 10 Millionen Jahren in ihrer Bahn bewegt, wird verhältnismäßig erst in der jüngeren Zeit von Menschen bewohnt und vor allem datiert die Civilisation erst von gestern. Wenn also ein denkendes Wesen in Zwischenzeiten von etwa 10 000 Jahren die Erde seit deren Beginn besucht hätte, um sich darauf nach Genossen umzusehen, so würde es tausendmal nichts dergleichen gefunden haben, ehe es ein einziges Mal Menschen antraf. „In ähnlicher Weise,“ sagt Newcomb, „müssen wir annehmen, daß dieselben Enttäuschungen Den erwarten würden, der jetzt eine ähnliche Entdeckungsreise von Planet zu Planet und von System zu System unternehmen könnte, bis er viele tausend Planeten untersucht hätte.“

Einer der größten Denker des vorigen Jahrhunderts, der berühmte Mathematiker Lambert, kam dagegen zu dem Schlusse, daß kein Teil des Weltraumes öde und unbewohnt sei. Er sprach die Ueberzeugung aus, daß, wenn die Welt ein Ausdruck oder eine fortdauernde Wirkung der göttlichen Vollkommenheit sei, an jeder Stelle derselben Leben und Wirksamkeit, Gedanken und Triebe vorhanden sein müßten; deshalb trug er kein Bedenken, jedes Sonnensystem so sehr mit bewohnten Weltkörpern anzufüllen, wie die vortreffliche Ordnung, die sich in ihrem Laufe zeigt, nur immer zuläßt. „Auf unserer Erde,“ sagt er, „die wir seit der Erfindung der Vergrößerungsgläser auch in den kleinsten Teilen betrachten können, finden wir alles so voller Einwohner, daß wir nicht länger mehr zweifeln können, die Belebung aller Teile der Welt als eine Absicht der Schöpfung anzusehen, die keine Ausnahme erleidet. Um die Beschaffenheit der Einwohner jedes Weltkörpers bin ich nicht besorgt, weil ich überhaupt annehmen kann, daß jeder derselben für die Stelle, wo er sich befindet, eingerichtet sein wird. Was wir auf der Erde finden, richtet sich ohne Ausnahme nach diesem Gesetze. Wer würde an die Bewohnbarkeit des Wassers denken, wenn die Fische und andere Wassertiere uns nicht von Kindheit auf bekannt wären?“

Auch der große Mathematiker Gauß war der Meinung, daß lebende Wesen zu beherbergen nicht das ausschließliche Privilegium der Erde sei; er meinte, die Natur habe mehr Mittel, als der arme Mensch ahnen könne; im übrigen hielt er die Frage nach der Bewohntheit der Weltkörper nicht für wissenschaftlich lösbar, da wir durch Beobachtung keine bestimmten Thatsachen ermitteln könnten. Wirklich ist der Astronom trotz aller Fortschritte der Optik noch nicht imstande, selbst auf dem uns nächsten Weltkörper, dem Monde, Gegenstände, von der Größe etwa eines Hauses, zu erkennen. Indessen ist dies für die Frage nach der Bewohnbarkeit des Mondes auch durchaus nicht erforderlich, denn aus vielen Gründen ist mit absoluter Sicherheit zu schließen, daß der Mond, wenigstens in seinem heutigen Zustande, nicht Wohnplatz menschenähnlicher Wesen sein kann. Was aber beim Monde nicht gelingt, kann von der Beobachtung der außerordentlich viel weiter entfernten Planeten durchaus nicht erwartet werden. Nur allgemeine Aufschlüsse über die Beschaffenheit ihrer Oberflächen sind mittels der mächtigsten Ferngläser bei einigen Planeten zu erhalten, und vor allem ist es in dieser Beziehung der Planet Mars, welcher zu den dankbarsten Objekten für den beobachtenden Astronomen gehört. Was man in dieser Beziehung gefunden hat, ist früher bereits an dieser Stelle mitgeteilt worden. (Vergl. „Gartenlaube“ Jahrg. 1891, Seite 395.)

Besonders sind es die sogenannten Kanäle auf dem Mars, die zuerst Schiaparelli gesehen hat, welche allgemeines Interesse erregt haben, da sie Erscheinungen sind, die ebenso unerwartet wie unerklärlich dem Beobachter entgegentraten. Zur möglichst genauen Untersuchung dieser Marskanäle hatte der Amerikaner Percival Lowell vor mehreren Jahren auf einem hohen Berge in Arizona, wo die Luft für astronomische Untersuchungen sehr geeignet ist, eine besondere Sternwarte errichtet. Seine Untersuchungen waren von großem Erfolge gekrönt, denn er hat mehrere hundert solcher Marskanäle beobachtet und ihr Verhalten in den verschiedenen Jahreszeiten des Mars genau studiert. Als Ergebnis seiner Untersuchungen hat er nun kürzlich eine Karte des Mars in Mercators Projektion entworfen. Dieselbe wird in verkleinertem Maßstabe von unserer Fig. 1 wiedergegeben, und zwar ist oben Nord, unten Süd. Zur Vergleichung ist in Fig. 2 die Erdoberfläche dargestellt, wie sie, abgesehen von Bewölkung, ein Beobachter auf dem Mars, der mit den nämlichen Instrumenten wie wir ausgerüstet wäre, gemäß seinen allmählichen Wahrnehmungen in Mercators Projektion darstellen würde. Die irdischen Festländer würden dem Beobachter hell erscheinen, noch heller die Polargegenden, während die Meere dunkel wären, und zwar in verschiedenem Grade. Von den tiefen Meeresbuchten und Landseen würden nur die größeren in ziemlich verschwommener Weise zu erkennen sein, so das Rote Meer, der Persische Meerbusen, der Busen von Kalifornien, der Baikalsee, der Aralsee, das Kaspische Meer und die großen nordamerikanischen Seen. Von den Gebirgen würde man nur schwache Andeutungen wahrnehmen, hauptsächlich durch Helligkeitsabweichung gegen die Umgebung, dagegen würden die ausgedehnten Waldregionen Südamerikas sich als eine grünliche Färbung der Fläche darstellen. Von unseren Flußsystemen, selbst von jenem des Amazonenstromes, würde ein Beobachter auf dem Mars schlechterdings keine Spur zu erkennen vermögen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 508. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0508.jpg&oldid=- (Version vom 13.7.2023)